Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
meisten zuwider. Da bestehen geheime Absprachen zwischen fest bestallten und freien Kollegen, die gemeinsam zum Drehen unterwegs sind; da werden Ehefrauen, Ehemännern und langmütigen Partnern Lügen aufgetischt über das, was während des sechswöchigen Drehs (ich meine, während der sechswöchigen Party) in jenem Haus auf Ibiza oder im Hotelkomplex in Russland oder im Caravan in Irland tatsächlich los war. Wenn an den Geschichten, die ich gelegentlich so höre, auch nur ein Hauch Wahres ist, gibt es Jobs, in denen man hart arbeiten muss, und Jobs bei Fernsehdrehs. Wie viele Geheimnisse mögen bei der Arbeit schlummern, die ich nie lüften werde, weil ich eine Ehefrau bin?
Jemand kichert, und ich fahre herum. Reiß dich zusammen, Kate, sage ich mir. Ich stütze den Ellbogen in die eine Hand, so dass die andere mit der Zigarette dicht neben meinem Ohr schwebt. »Wie langweilig, diese Sprüche von euch Fernsehleuten! Ich kenne einen viel besseren aus dem Musikbusiness.« Und ich beuge mich zu Lex hinüber. »Kunst für die Gunst, Hits für die Ficks.«
Lex lacht, und die Gruppe entspannt sich. Das Nikotin rast durch meinen Körper, mir wird elend.
»Ich weiß auch einen!«, ruft Astrid und zermalmt eine Kippe unter ihrem Absatz. »Die Freundin einer Freundin hat in einer Plattenfirma am Empfang gearbeitet. Eines Tages kam Sting rein, geradewegs zu ihr an den Tresen. Da hat sie gesagt: ›Don’t stand so close to me.‹« Allgemeines Gelächter. Das alles könnte ganz lustig sein, wenn ich nicht so versessen darauf wäre, die Wahrheit zu erfahren, mich an den Strohhalm jener Information zu klammern, die Lex mir nicht liefern will. Wie, verdammt, kriege ich raus, was am Montagabend passiert ist? In meinem Kopf schwimmt alles.
Nach fünf Minuten oberflächlichen Geplänkels schnippt Lex seine Kippe in den Rinnstein, schickt sich an, wieder nach drinnen zu gehen, und gibt mir einen Klaps auf den Rücken. »Nun wirst du mich wahrscheinlich für Crime Time filmen, wo du schon mal bei denen gelandet bist«, sagt er und hebt theatralisch, wie um sich zu schützen, einen Arm vors Gesicht. Mein Lächeln könnte das einer Attentäterin sein.
Es ist sehr warm im Innern, und die Leute sitzen noch beim Essen. Dies soll ein festlicher Abend werden, zur Anerkennung und Würdigung dessen, was Paul geleistet hat, und ich ertappe mich zum ersten Mal dabei, dass ich den Raum nach Frauen abscanne, die Paul vielleicht attraktiv finden könnte. Hier befinde ich mich auf vermintem Gebiet. Ich kippe meinen Wein nur so hinunter. Irgendwann berührt Sergei mich im Vorbeigehen kurz an der Schulter, fast so, als wolle er mir Trost spenden. Sein kurzes Stirnrunzeln vorhin fällt mir wieder ein; ganz offensichtlich hat es ihn sehr irritiert, dass ich gesagt habe, Paul sei in einem Meeting. Düstere Ahnungen beschleichen mich.
Jemand berührt mich am Arm, und das reißt mich aus meinen Grübeleien. Portia Wetherall, die Geschäftsführerin von CPTV, beugt sich über eine Stuhllehne herüber, um mich zu begrüßen, und ich bin so dankbar für die Ablenkung, dass ich aufspringe und sie unbeholfen in die Arme schließe, wobei ich sie fast in den Schwitzkasten nehme.
»Ich würde zu gern Gedanken lesen können«, sagt sie.
»Ach, ich bin einfach müde, weiter nichts. Ich habe viel um die Ohren.« Sofort schlage ich mir an die Stirn. »Entschuldigung. Das muss Ihnen lächerlich vorkommen, ich weiß.«
Sie tätschelt mir die Hand und wiederholt mehrmals: »Überhaupt nicht, kein bisschen.« Dann fügt sie hinzu: »Glauben Sie bloß nicht, nur weil ich im Management bin, hätte ich mehr Stress als Sie. Das ist höchstwahrscheinlich genau umgekehrt. Ich kann sehr gut delegieren.« Sie lächelt. »Und«, sie erhebt einen gepflegten Zeigefinger, »ich habe keine Kinder, um die ich mich kümmern muss.«
Portia ist die jüngste Frau, die jemals eine FTSE-100-notierte Firma geführt hat. Notorisch ganz oben. Sie ist älter als ich, aber um wie viel, kann ich nur schwer schätzen. Sie trägt das blonde Haar in einer eher altmodischen Helmfrisur à la »gesetzte Dame«, ihr zeitloses karamellfarbenes Kostüm sieht teuer aus. Sie steht an der Spitze einer der größten Firmen Großbritanniens, und ich wette, sie ist noch keine fünfzig. Dass ich Jessies Leben leben könnte, wenn ich mein eigenes nicht hätte, kann ich mir vorstellen, aber das von Portia erscheint mir so exotisch und unergründlich wie das eines Amazonas-Indianers oder eines tibetischen
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