Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
Kittel. »Diese Dinger sind komisch.« Er zupfte an dem hinten offenen Krankenhaushemd. »Jeder hier kann deinen Arsch bewundern. Guck, da sind sogar Schleifen dran!« Ich habe mit ihm gemeckert, weil er mich zum Lachen brachte, wo mir doch alles weh tat. »Wann können wir es endlich wieder tun, verdammt?«, flüsterte er. Den Großteil der Zeit in der Dusche mit dem Profilboden habe ich damit zugebracht, ihn abzuwehren. Dazu gestattete ich mir den Luxus, die Zeit um etwa vierzig Jahre vorzuspulen; ich stellte mir uns beide vor, krumm und tatterig, in einem luxuriösen Alterswohnsitz mit Treppenliften und barrierefreien Fluren, wo er sich liebevoll um mich kümmerte und mich wusch. Damals erschien die Welt noch in so romantischem Licht, dass ich mir dieser Aussicht völlig sicher war.
»Wenn er hierherkommt, lässt du ihn nicht rein. Ich will, dass du die Polizei rufst.«
»Er glaubt, dass er reingelegt worden ist.«
Unser langsames Schaukeln endet abrupt. »Von wem?«
»Da scheint es viele Kandidaten zu geben. Dich vor allem.«
Paul flucht leise. »Dieser dumme Kerl. Der hatte schon immer eine wahnwitzige Phantasie. Er ist einfach nicht ans Telefon gegangen.« Er wirft einen Blick auf die Uhr. »Er geht mir aus dem Weg und allen anderen im Büro auch. Ich weiß nicht, warum.«
»Livvy will ihn und Gerry in der nächsten Crime-Time -Sendung haben. Noch haben wir Gerry gar nicht gefunden, niemand weiß, wo er untergetaucht ist. Livvy ist der Meinung, dass wir ihn brauchen, um richtig dramatisch zu sein.«
Paul schnaubt unwillig. »Er ist doch gerade erst aus dem Gefängnis raus. Über diese Wiedereingliederungsprogramme kann man ihn bestimmt ausfindig machen. Es ist ja wohl kaum so, dass er viele Freunde hätte, oder?« Er steht auf. »Wenn Lex nicht aufpasst, hat er bald auch nicht mehr Freunde als Gerry.«
Müde fahre ich mir übers Gesicht. »Er ist einfach ziemlich wütend.«
»Das bin ich auch!«
»Man soll nicht über jemanden urteilen, in dessen Haut man nicht gesteckt hat.«
»Aha! Jetzt gibst du dich also verständnisvoll! Und das sagt die Frau, der es so schwerfällt zu verzeihen! Also ich für meinen Teil verzeihe ihm nicht.«
In mir hallt noch nach, was Lex über seinen Status als »bad leaver« gesagt hat. Wenn man nur genau genug hinschaut, findet man tausend Gründe. Wir klammern uns deshalb so an abwegige Szenarien, weil wir sie viel besser ertragen können als den Gedanken, dass jemand, der uns nahesteht, zu einer Greueltat imstande ist. Aus Erfahrung weiß ich aber auch, dass das nächstliegende Motiv in neunzig Prozent aller Fälle auch das wahre ist.
Josh ruft etwas im Schlaf, und ich laufe hin, um ihn zu trösten und zu beruhigen.
27
Z wei Tage nachdem sein Vater gestorben war, ist Paul wieder zur Arbeit gegangen. Ich stand an der Haustür, wollte ihn nicht rauslassen, beschwor ihn, sich noch etwas Zeit zu nehmen. »Arbeiten ist das Einzige, was mir hilft, damit klarzukommen«, sagte er. »Es bewahrt mich vorm Durchdrehen.« Heute Morgen sind unsere Rollen vertauscht. Paul beharrt darauf, dass er die Kinder zur Schule bringen kann, dass ich »so, wie ich aussehe«, nicht rauszugehen brauche. Er zeigt auf meinen Kopf, als wäre dort über Nacht irgendwas Komisches gewachsen, was in gewisser Weise sogar der Fall ist. Josh hat mich über den Frühstückstisch hinweg mit offenem Mund gemustert, sich ein Reis-Crispie vom Kinn gewischt und gesagt: »Autsch.«
»Mir geht’s gut. Ich kann arbeiten. Ich sehe nur ein bisschen merkwürdig aus, weiter nichts.« Ich bringe ein Lächeln zustande und lasse mir nicht anmerken, wie weh allein das schon tut.
Paul tritt ans Wohnzimmerfenster und zieht den Vorhang beiseite. »Die Pressefuzzis werden denken, dass ich dir eine verpasst habe.«
»Sind die denn jetzt da?«
»Nein. Sieht so aus, als wären wir nicht wichtig genug, als müsste sich unseretwegen keiner in der Kälte die Beine in den Bauch stehen.«
Ich winke Paul und den Kindern noch, dann suche ich meine Sachen fürs Büro zusammen, aber dort fahre ich gar nicht hin. Ich habe so ein Gefühl, und dem muss ich allein auf den Grund gehen. Ich habe in der Nacht fast gar nicht geschlafen. Ich habe dagelegen, einen Riss in der Decke angestarrt und über alles nachgedacht, was ich von Gerry weiß. Eine Stunde nachdem Paul eingeschlafen war, bin ich nach unten gegangen und habe unsere Inside-Out -DVDs durchgesehen, die ordentlich aufgereiht in dem Regal hinter dem Fernseher stehen. Ich habe
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