Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
schon fast über den Kamm der Böschung, da fällt mir meine Tasche ein, die ich im Wagen gelassen habe, mitsamt den Informationen aus Melodys Haus. Als ich kehrtmache, sehe ich, dass Lex mir nachkommt. Er hat die Tasche bei sich.
»Gib sie mir!«
Er sieht mich triumphierend an. »Vielleicht sollte ich sie behalten, bis du mir erzählt hast, was du weißt.« Er keucht. Er ist noch aufgeputscht von dem Gefühl, überlebt zu haben. Genau wie ich.
Ich strecke die Hand aus. »Gib. Sie. Mir.«
»Na los, Bluthund, was verrätst du mir im Gegenzug?« Keuchend und lauernd kreisen wir da auf der Böschung umeinander. Ich bin viel zu aufgewühlt, ich bringe kein Wort heraus.
Ein Mann kommt und legt Lex eine Hand auf den Arm. »Sie müssen auf den Rettungswagen warten!« Immer mehr Leute kommen dazu, und so endet unser Willensduell.
»Eins musst du lernen, Kate, etwas sehr Wichtiges.« Er hält die Tasche hoch in die Luft; unsichtbar für ihn schwebt der dünne Ordner von Melody jetzt etwa auf der Höhe seiner Augen. »Stell dich nie zwischen einen Mann und die Millionen, die er machen wird.« Damit wirft er mir die Tasche vor die Füße und wendet sich ab, um auszulöffeln, was er sich eingebrockt hat.
26
I m Biologieunterricht haben wir einmal Keime gezüchtet. Ich habe sie unter meinen Fingernägeln hervorgekratzt und zugesehen, wie sie sich in einer Petrischale vermehrten. Mrs. Dobbs, die einen Backenbart hatte, erklärte mir, dass sich ihre Anzahl innerhalb einer Stunde verdoppele. Diese kleinen Drecksdinger waren schnell wie der Teufel. Ich sehe in den Badezimmerspiegel und fahre behutsam mit einem Finger an der Wunde lang, die an meiner geschwollenen Schläfe klafft.
Pauls Gesicht ist auch im Spiegel zu sehen. »Zum letzten Mal, Kate, du musst ins Krankenhaus fahren. Da kann ja auch ein Bruch sein. Ich glaub’s einfach nicht, dass du den ganzen Weg gelaufen bist, statt auf die Sanitäter zu warten …« Ich versuche, ihn zu ignorieren; ich will über das nachdenken, was Lex behauptet hat. Ich war dumm; völlig fixiert auf Pauls Schwanz und darauf, wo er ihn hineingesteckt haben könnte, und jetzt vermehren sich die anderen Möglichkeiten in meiner Vorstellung wie die Mikroorganismen auf meiner Haut. Und es gibt kein Desinfektionsmittel, das diese Vorstellungen zu stoppen vermag; nichts ist so abwegig, dass ich es mir nicht ausmalen könnte. »Siehst du, du hast doch eine Gehirnerschütterung; du hörst gar nicht zu.« Ich betrachte meinen Mann im grellen Licht der Halogenspots, die wir im Bad an der Decke haben. »Du musst die Polizei rufen und Anzeige erstatten.« Ich schüttele den Kopf. »Er hat dich praktisch gekidnappt und versucht, dich umzubringen!«
»Das hat er nicht.«
»Dass er sich so aufführt, wird sich auf den Fall auswirken …« Ich schließe die Augen und versuche, das alles auszublenden; als ich sie wieder aufschlage, zieht Paul mich auf den Badewannenrand. »Komm her. Gott sei Dank, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist.« Er massiert meine Schultern, und selbst nach all den Jahren, trotz aller Verdächtigungen und unserer Entfremdung während der vergangenen Tage, erregt mich seine Berührung, genieße ich, dass er alle Anspannung und alles aufgestaute Adrenalin einfach wegknetet. Er pustet auf die Wunde, und mir kommen die Tränen.
»Die Kinder werden vor mir erschrecken.«
»Schsch.« Er küsst mich aufs Haar. »Das kriegen sie gar nicht mit.«
Wir sitzen nebeneinander auf dem harten Keramikrand und wiegen uns hin und her. Ich muss an Joshs Geburt vor neun Jahren denken, ein schreckliches Zerrbild all dessen, was ich in Zeitschriften gelesen und im Geburtsvorbereitungskurs pflichtschuldig notiert hatte. Einen Tag danach bin ich in ein Badezimmer gehumpelt, das mit unzähligen Haltegriffen ausgestattet war, damit die halbtoten Frauen sich an etwas klammern konnten. Paul musste mich mehr oder weniger hintragen, und da saß ich dann im gelben Licht der Neonröhren, hilflos einer Schwemme ungewohnter postnataler Hormone ausgeliefert, mit einer Pobacke auf dem Badewannenrand und jammerte, dass ich nicht in der Lage sei, für ein Baby zu sorgen, dass ich eine Mogelpackung sei. Damals hat Paul mich auch gewiegt. »Ich bin so stolz auf dich, Eggy«, sagte er und strich mir mit der flachen Hand über den Rücken, die einzige Körperpartie, die nicht schmerzte. »Du wirst eine tolle Mutter.« Nach einer Weile hörte er auf, meinen Rücken zu streicheln, und starrte auf meinen blutigen
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