Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
Männern, Frauen und Kindern. Andere Patienten drängen sich am Ufer. Man begrüßt sie mit Hochrufen und Liedern. Auch eine Kapelle ist da. Ein Saxophon quiekt. Reden werden gehalten. Einer der Kranken bedankt sich in unbeholfenen, rührenden Worten. Alberto hält eine kurze Ansprache. Wieder wird gesungen. Als der Beifall endet, stößt das Floß ab. Langsam gleitet es dahin, noch eine Weile begleitet von dem weißen Boot mit den Kranken, von dem immer noch Liedfetzen herüberdringen. Erst nach einer Weile verschwindet es langsam im Dunst der Regenschwaden.
Ernesto ist begeistert. Die Zeit in San Pablo kommt der Vorstellung von seiner Lebensaufgabe, wie er sie damals sieht, ziemlich nahe.
Da die beiden jungen Männer in der Steuerung eines Floßes unerfahren sind, werden sie mit der starken Strömung an Leticia vorbeigetragen und gehen auf einer Insel, die schon zu Brasilien gehört, an Land. Sie vertauschen das Floß mit einem Boot und rudern stromaufwärts zur Stadt zurück. Dort quartieren sie sich auf der Armeestation ein. Sie haben kein Geld mehr. Der Enthusiasmus, den man an diesem Ort argentinischen Fußballspielern entgegenbringt, kommt ihnen zu Hilfe. Sie trainieren die Lokalmannschaft, nehmen selbst an einem Meisterschaftsspiel teil, helfen es zu gewinnen.
Zum Dank schenkt man ihnen zwei Flugkarten nach Bogotá. Dort regiert Laureano Gómez. Eine große Unterdrückungskampagne ist im Gang. Fremde werden mit Misstrauen betrachtet. Niemand glaubt den beiden jungen Männern, dass sie nichts anderes umhertreibt als die Neugier, alle Länder des Subkontinents anzusehen. Sie werden verhaftet. Auf der Wache beschimpfen sie den Polizeiagenten. Ihre Unverschämtheit bewährt sich. Sie werden freigelassen. Studenten, die sie in der Stadt treffen und denen sie erzählen, was sie erlebt haben, machen ihnen klar, dass sie Glück gehabt haben. Der Polizeiagent, mit dem sie sich angelegt hatten, gilt als ein besonders bösartiger Bursche, der schon aus geringfügigerem Anlass Leute hat erschießen lassen.
Die Studenten raten ihnen, die Stadt schleunigst zu verlassen und schenken ihnen ein paar Dollar für das Busticket nach Cúcuta, einem Ort an der venezuelanischen Grenze. Am 14. Juli, dem Jahrestag der Erstürmung der Bastille, wie Alberto Granados ausdrücklich in seinem Bericht über diese Reise hervorhebt, überqueren sie die Internationale Brücke, die Cúcuta mit der venezuelanischen Stadt San Cristóbal verbindet. Kolumbien steht damals in dem Ruf, ein zivilisiertes Land zu sein. Aber seitdem Laureano Gómez dort an der Macht ist, macht sich ein deutlicher Verfall bemerkbar. Sie sehen überall Armut und Rechtsunsicherheit.
In Venezuela entscheidet sich Alberto, eine Anstellung an einem klinischen Laboratorium eines Leprakrankenhauses anzunehmen.
Zufällig begegnen die beiden Freunde einem Bekannten von Guevaras Eltern, der Ernesto daran erinnert, dass er seiner Mutter versprochen hat, heimzukommen und sein Studium mit der Promotion abzuschließen. Der Bekannte handelt mit Rennpferden. Er verkauft argentinische Tiere nach Miami, kauft dort amerikanische Pferde, die er nach Maracaibo bringt, um dann jeweils wieder nach Argentinien zurückzukehren.
Will Ernesto mitfliegen? - Eine Reise mit Umwegen. Immerhin ist der Flugschein kostenlos.
Vorerst also Miami. Dort muss er die Zeit totschlagen, bis das Pferdeflugzeug wieder startet. Er besitzt kaum einen Cent, nimmt tagelang nur eine Tasse Milchkaffee zu sich. In einer Cafeteria, dessen Besitzer ihm erlaubt, seinen Schlafsack auszurollen, wenn nachts die letzten Gäste gegangen sind, wird Ernesto Zeuge, wie ein Puertoricaner auf den amerikanischen Präsidenten Truman schimpft. Auch ein FBI-Agent hört die Unterhaltung mit an. Der Puertoricaner wird festgenommen. »Land of the free/home of the brave.« Auch Ernesto muss mit auf die Polizeiwache. Er bestreitet beim Verhör, sich abfällig über den Präsidenten der Vereinigten Staaten geäußert zu haben. Der Agent behauptet, Ernesto habe bei den Bemerkungen des Puertoricaners unverschämt gegrinst.
Ernesto leugnet hartnäckig auch das Grinsen. - Eine Farce! Er wird freigelassen. Aber bis zu seinem Abflug wird er den Eindruck nicht los, beschattet zu werden.
Im März 1953 promoviert Ernesto in Buenos Aires mit einer Arbeit über Allergien zum Doktor der Medizin. In weniger als einem Jahr hat er die zehn oder zwölf Zwischenprüfungen, die dem Examen in Argentinien vorausgehen, hinter sich gebracht.
Die
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