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Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)

Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)

Titel: Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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nächsten Tagen von ein paar Krümeln.
    Er kann es aber nicht unterlassen, seinem feudalen Gastgeber ab und an spitze Fragen zu stellen: »Ach, erzählen Sie uns doch noch etwas von Ihren herrlichen Zuckerrohrplantagen!«
    Als Guevara eines Tages das Landwirtschaftsministerium besucht, beobachtet er, wie die Indianer, die gekommen sind, um ihr Stück Land einzumahnen, und geduldig auf den Fluren vor den Kanzleien warten, mit einem weißen Pulver besprüht werden.
    Ein Beamter erklärt, es sei unmöglich, diesen Indios Sauberkeit beizubringen, sie trügen Ungeziefer ins Haus und verbreiteten Krankheiten. Höhnisch sagt Ernesto: »Ah ja ... die MNR macht ihre Revolution mit DDT!«
    Von seinem Zimmer in der Calle Yanacoche unternimmt Guevara regelmäßig Streifzüge durch die Hauptstraßen der Stadt und taucht gelegentlich auch in der Bar des Sucre-Palace-Hotels auf. Unter den Intellektuellen ist viel von Revolution die Rede: Die Revolution wird zerredet, während die Reaktion wieder die Weichen stellt.
    Von La Paz aus unternimmt er zwei Reisen in die Provinz. Die eine, in Begleitung des deutschen Fotografen Gustav Thörlichen, zu den Ruinen der Inkastadt Tiahuanaco; die andere, zusammen mit Rojo, zu den Zinnminen Siglo XX und Catavi in der Gegend von Oruro. Hier arbeiten 30.000 Menschen. Er will diese Männer sehen, die mit Dynamitladungen gegen Maschinengewehrnester der Armee vorgegangen sind.
    Die Unterkünfte der Bergarbeiter sind Wellblechbaracken mit gestampftem Lehmboden. 20 Menschen hausen in einem Raum. Der Stundenlohn der Bergleute liegt umgerechnet bei 10 bis 15 Cent. Das reicht gerade hin, um sich Tag für Tag etwas Indianerhirse, ein minderwertiges Nahrungsmittel, und einige Cocablätter zu kaufen. In den großen Familien arbeiten oft schon die Kinder im Bergwerk mit.
    Guevara weiß, die schlechten Arbeitsbedingungen und das Elend sind kein unabwendbares Schicksal; denn nicht das Schicksal, sondern Menschen sind dafür verantwortlich. Er denkt radikaler als die Funktionäre des neuen Regimes.
    Der neue Bergbauminister Juan Lechin hat erklärt, - Spruchband: Die bolivianische Revolution ist tiefgreifender als die Revolution von Guatemala und China. - Großsprecherei! Das wird erst wahr sein, wenn hier nicht mehr die meisten Indios mit dreißig Jahren an TB verrecken, wenn nicht mehr jedes zweite Kind im ersten Lebensjahr stirbt. Bis dahin ist noch viel zu tun.
    Ernesto empört sich, als er hört, dass die MNR-Regierung angeboten hat, den Zinnbaronen eine Entschädigung für ihren enteigneten Besitz zu zahlen. »... die haben sich doch lange genug gesund gestoßen«, mault er und sagt voraus, dass eine Abfindung der erste Schritt zur Restauration der alten Zustände sein werde.
    Noch immer spricht er davon, nach Caracas zu gehen und in Venezuela als Arzt in einem Leprakrankenhaus zu arbeiten.
    Rojo aber ist entschlossen, nach Guatemala zu fahren. Dort werde die radikale Revolution gemacht, behauptet er. Die wahre, die echte, die wirkliche, die entschiedene, die große Revolution! Ein seltener exotischer Schmetterling, dem diese Jugend durch einen ganzen Kontinent nachjagt.
    Zunächst einmal fahren sie mit dem Bus nach Peru. Dabei ereignet sich ein Vorfall, der bezeichnend ist für Guevaras überschwängliches Verlangen nach Brüderlichkeit. Als er und einige seiner Kameraden die Tickets für den Lastwagen kaufen, der Indianer und deren Waren von und nach La Paz transportiert, fragt der Mann am Schalter wie üblich: »Wollen Sie Panagra fahren?«
    Panagra ist die Abkürzung für Pair American Grace Airways, ein ironischer Slangausdruck für die etwas bequemeren und deswegen teureren Platze im Führerhaus, die gewöhnlich von den wenigen weißen Fahrgästen eingenommen werden.
    »Panagra?« fragt Ernesto. »Wir wollen mit einem Lastwagen nach Copacabana.«
    »Schon recht«, antwortet der Mann, »aber doch Panagra-Klasse, nicht wahr?«
    Doch Ernesto besteht darauf, hinten unter den Indios zu sitzen, die diese Geste gar nicht zu schätzen wissen und ihn als einen feindlichen Eindringling behandeln. Vergeblich bleibt jegliches Bemühen, diesen forschenden metallischen Augen auch nur ein Zeichen von Sympathie zu entlocken. Ab und zu öffnet einer der Indios den Mund, und ein Pestilenzhauch von zerkautem Coca weht vorbei.
    Als der Lastwagen die Grenze von Peru erreicht, ist die Polizei misstrauisch, weil Ernesto unter den Indianern sitzt. Auch findet sich im Gepäck der weißen Argentinier hauptsächlich

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