Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
bolivianische Propagandaliteratur. Die Grenzwachen argwöhnen, die jungen Männer hätten unterwegs den Indios mit Berichten von der Agrarreform im Nachbarland die Köpfe verdreht.
Am 11. September, in dem Dorf Yunguyo, jenseits der Grenze, werden Guevara und seine Freunde sehr direkt gefragt: »Seid ihr Agitatoren?« »Das wäre schwierig«, antwortet Ernesto, »wir sprechen nämlich nicht ein einziges Wort Aymará oder Quechua.«
Schließlich erhalten sie doch Geleitbriefe und fahren weiter bis Juliaca, um von dort nach Cuzco zu gelangen.
Guevara zieht es wieder nach Machu Picchu.
Diese Terrasse unter dem Steinturm und dem Himmel, hoch über der Schlucht, umgeistert von Dschungelfingern, hat für ihn etwas von einer Sonnenstadt. Es ist, als ließe sich da entdecken, wie die alte Integrität dieses Kontinents ausgesehen hat, auf welchen Prinzipien sie beruhte. Solchen Trost durch Erkenntnis hätte er nötig, angesichts des Ekels, der sich runter die Haut frisst wie ein tropischer Pilz.
Rojo und er verfehlen sich in Lima, treffen sich dann aber zufällig in dem Dorf Tumba, nahe der Grenze von Ecuador wieder.
Am 26. September 1953 reisen die beiden jungen Männer nach Ecuador ein. An der peruanischen Grenze weht der Wind der indianischen Rebellion. In Peru regiert rücksichtslos ein General, Manuel Odria. Um an die Macht zu kommen, war ihm jedes Mittel recht gewesen. Bei dem Massaker in der Stadt Arequipa ist das Blut von Hunderten von Menschen geflossen.
In Lima sitzt der Führer der APRA, Victor Raul Haya de la Torres, Kopf der Opposition, seit vier Jahren im Asyl in der kolumbianischen Botschaft. Durch die Straßen patrouillieren Scharen von Polizisten. Gegen politische Demonstrationen lässt der General Panzer auffahren.
Die architektonische Fassade der Hauptstadt - die Kathedrale des Torre Tagle Palastes und die Universität von San Marcos - symbolisiert die einst von Spanien nach Amerika übertragene Herrschaft und Zivilisation Spaniens. Aber Lima scheint völlig isoliert vom Rest des Landes, in dem neun Millionen Menschen leben, von denen die Hälfte direkt von der indianischen Urbevölkerung abstammt.
Eine Million Landarbeiter schuftet auf den Gütern der Großgrundbesitzer, schindet sich, wird geschunden, damit eine aristokratische Minderheit, die mit den Bankiers, den Importeuren und den Kapital investierenden Ausländern verbündet ist, ihren feudal-luxuriösen Lebensstil weiter aufrecht erhalten kann.
Kriegsstimmung an der Grenze zwischen Peru und Ecuador. Beide Länder führen sich gegenseitig ihre letzten Neuheiten an Kriegsausrüstungen vor. Gestritten wird um ein paar Zipfel Land im Irgendwo. Das heizt die Nationalleidenschaft an, schürt Hass, lenkt von den wahren Problemen ab, hilft, die Anschaffung von Waffen, die Vergrößerung der Armee zu rechtfertigen.
Im Autobus über den Küstenweg, durch die von Nordwinden ausgedörrte und leergefegte Wüste.
Südamerika ist arm, ist elend.
Südamerika ist reich, könnte reich sein.
Überall, wohin man hier blickt, quillt unaufhörlich Erdöl aus dem Boden hervor.
Sie kommen nach Guayaquil. Der Ort liegt am Rio Guayas, 64 Kilometer von der Mündung des Flusses in den Ozean entfernt, kaum einen Meter über dem Meeresspiegel. Eine Stadt, die vom Dschungelgebüsch langsam aufgefressen wird. Das Wasser staut sich. Ein Brutherd, Nährboden für die furchtbarsten Tropenkrankheiten: Sumpffieber, Wurmseuchen, Gelbfieber.
40.000 Menschen leben in halbverfaulten, von den Termiten zernagten Holzhäusern. Jeden Augenblick kann das riesige Holzdorf niederbrennen. Es ist Trockenzeit. Ständig bimmelt ein lächerliches Feuerwehrfahrzeug durch die Gassen.
Zu Rojo und Guevara stoßen drei weitere Argentinier, Studenten: Oscar Valdovinos, Gualo Garcia und Andro Herrero. Sie haben in der Zeitung gelesen, dass sich zwei argentinische Emigranten in der Stadt aufhalten. Man trifft sich in der Universität, stellt fest, dass die Finanzlage bei allen gleichermaßen miserabel aussieht. Man bleibt zusammen, mietet sich ein Holzhaus nahe am Hafen.
In dem Zimmer gibt es nur zwei Matratzen. Wer abends zuerst heimkommt, darf sie benutzen. Die anderen hüllen sich in ein Bettuch und legen sich auf den nackten Boden.
Manchmal schrickt einer durch das Rascheln einer Ratte oder das Geräusch von Ungeziefer, das von der Decke herabfällt, aus dem Schlaf hoch. Am Morgen, wenn die Hitze noch einigermaßen erträglich ist, schlendern die jungen Männer hinunter zum Fluss, sehen
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