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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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und asketisch, strahlte aber dennoch Nestwärme aus. In Küche und Garten spürte man die wirkenden Hände einer guten Fee. Alle Bedürfnisse wurden berücksichtigt, ohne dass man sich von ihnen tyrannisieren ließ.
    So wurden auch die Mahlzeiten in einem undramatischen Übergang in den Tagesablauf integriert. Diego half wie selbstverständlich, man merkte ihm den Respekt vor seinen Eltern an. Nie zuvor hatte ich das christliche Gebot »Du sollst Vater und Mutter ehren« in solcher Weise verwirklicht erlebt, aber ich hatte auch selten zuvor ein solches Paar erlebt. André Masson war ein großer Mensch, in seiner Malerei vielleicht weniger prägnant als Picasso, Braque, Chagall und die anderen. Doch sein brillantes Denken hatte sicher sehr wichtige Impulse auch für diese anderen und die ganze damalige Kunstszene gegeben.
    Irgendwann reisten wir weiter, schweigend und selig, diese Familie erlebt zu haben. Es bedurfte keiner Worte, das Glück dieses Paares hatte sich auf uns übertragen, und wir kehrten mit dem Gefühl nach Hause zurück, das Kostbare unserer Partnerschaft mehr hüten zu müssen, es nicht als selbstverständlich zu nehmen. Auch mussten wir an Passagen aus der Biografie Leben mit Picasso denken, die dessen Geliebte Françoise Gilot über ihre gemeinsame Zeit geschrieben hatte: Picasso verglich die Liebe mit einem kostbaren Getränk, das man tropfenweise genießen müsse. Wer es in einem Schluck austrinke, verpasse das Wesentliche. Auch das versprachen wir uns nach dieser Reise: Sollten wir uns trennen müssen – gemäß unserem Schwur –, so wollten wir genug dieses Getränks im Glas belassen, damit uns bis zum Ende unseres Lebens wenigstens noch Tropfen davon blieben, als Grundlage, um unsere Partnerschaft immer in Würde zu leben, ob gemeinsam oder getrennt.
    Auch innerlich von Stockhausen getrennt zu sein schien mir zu diesem Zeitpunkt ganz und gar nicht vorstellbar, zumal ich ja doch alles mitbekam, was er lebte oder erlebte. Wie sollte ich mich davon jemals lösen können? Welcher Kräfte bedurfte es, um ein solches Band der Übereinstimmung endgültig zu durchtrennen?
    Aus Südfrankreich heimgekehrt ins Bergische Land, folgten nun einige sehr arbeitsreiche Monate, die ich wie zuvor teils in Forsbach, teils in Kürten zubrachte, ehe es wieder auf eine Reise ging. Unsere Tochter Julika war in diesem Jahr öfter sehr krank, und wie immer, wenn das uns so selbstverständlich erscheinende Leben eines seiner Kinder auch nur etwas gefährdet schien, packte Stockhausen eine rührende Fürsorglichkeit. Vorlesen, sie durch Clownereien aufmuntern oder auch nur still die kleinen Händchen halten, das waren seine Beiträge, um sie wieder gesund werden zu lassen. Dafür legte er sogar Pausen in seiner Arbeit ein, die sonst vom Aufstehen bis spät in die Nacht seinen disziplinierten Tageslauf bestimmte, unterbrochen nur durch die Mahlzeiten und einen kurzen Mittagsschlaf.
    Aber nun stand eine Konzerttournee in den Libanon an, bei der ich Stockhausen begleitete. Diesmal nahmen wir zwei Kinder mit: Christel, die Zweitälteste von Karlheinz und Doris, damals dreizehn, und Julika, vier Jahre alt. Im Hotel in Beirut hatten wir ein dramatisches Erlebnis. Wir wollten Julika an einem der Tage nach dem verordneten Mittagsschlaf im Hotelzimmer abholen, aber das Zimmer war leer. Ich trat auf den Flur, Karlheinz hinter mir, da durchfuhr mich ein Schreck – Julika saß auf einem schmalen Blumenkasten, der hinter einer ungesicherten Schiebetür an der Fassade befestigt war, und baumelte mit den Beinchen über dem Abgrund von vierzehn Hotelgeschossen, auch noch vorgebeugt, um unten den Straßenverkehr zu beobachten. Das war für sie, ein bis dahin nur im Wald oder am Meer aufgewachsenes Kind, ein völlig neues Erlebnis.
    Mir wollte das Herz stehen bleiben, aber bevor ich reagieren konnte, legte mir Stockhausen, der hinter mir stand, seine Hände vor den Mund. Leise sagte er: »Julchen … Julchen, dreh dich mal langsam um!« Die Kleine wandte den Kopf – hoffentlich verliert sie jetzt nur nicht die Balance, dachte ich. Er breitete seine Arme aus, wie er es oft mit den Kindern daheim in unserem Wald tat, wenn sie ihm einen steilen Weg hinab entgegenliefen und von ihm aufgefangen werden wollten. Und Jule drehte sich um, kletterte über den Blumenkasten zurück und lief in seine Arme. Stockhausen hatte durch seine Geistesgegenwart ihr Leben gerettet. Mein Herz pochte wie wild. Die Vorstellung, was hätte passieren

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