Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
können, sollte mich noch lange in meinen Träumen verfolgen.
Den Höhepunkt der libanesischen Kulturwoche, zu der wir eingeladen waren, bildeten nun vier Konzerte, die Stockhausen mit seinem Ensemble in den Grotten von Jeita aufführte. Diese Tropfsteinhöhle in der Nähe von Beirut hat eine Länge von über neun Kilometern und vergrößert sich im mittleren Bereich zu einer gewaltigen unterirdischen Halle. Die Musiker und Sänger standen in drei Reihen auf Emporen, die wie in den Fels gehauen schienen, eine professionelle Beleuchtung sorgte für eine irrationale, geradezu magische Stimmung. Wie durch einen Geburtskanal hatte man sich in die Höhle hineinzwängen müssen, dann war sie allmählich weiter geworden und hatte sich geöffnet zu einem Auditorium, wie wir es noch nie gesehen hatten. Stalaktiten hingen von der Decke, in Jahrtausenden aus Tropfen gewachsen, Stalagmiten wuchsen vom Boden hoch. Als die Musiker zu spielen begannen, schallten die Echos der Klänge weit.
Henry-Louis de la Grange, der auch anwesend war, hatte Stockhausen zugeraunt, dass Max Ernst auf dem Weg sei und schon den Aufstieg zur Höhle begonnen habe. Daraufhin dirigierte Stockhausen dem Chor eigens eine improvisierte Hommage an den großen alten Meister – was für ein Empfang! Max Ernst war zu Tränen gerührt.
Nach den Konzerten ging es wieder heimwärts. Die Weihnachtszeit stand bevor, die der Großfamilie gewidmet wurde. Stockhausen schmückte wie jedes Jahr den Baum in meinem großen Atelier, das dann niemand mehr betreten durfte, auch Doris und ich nicht. Ich kümmerte mich darum, die nötigen Vorräte ins Haus zu schaffen – es lag ja abseits vom Ort auf einem bewaldeten Hügel, da konnte man nicht einfach schnell noch etwas besorgen gehen.
In diesem Winter schneiten wir in Kürten wieder einmal ein. Stockhausen baute mit den Kindern eine ganze Familie von Schneemännern. Die Kinder bastelten im Kindertrakt des Hauses an ihren Geschenken, und Doris übte mit allen sechs eine fantasievolle Scharade ein, wie es in ihrer Hamburger Familie üblich gewesen war. In meiner Erinnerung ist dieses Weihnachtsfest 1969 das schönste, das wir gemeinsam gefeiert haben. Auch Julika fällt, wenn sie nach schönen Kindheitserinnerungen gefragt wird, als Erstes dieses »Weihnachten bei Papa« ein – natürlich auch mit dem geheimen an der Tür Lau schen, dem Klang des Glöckchens, das zur Bescherung rief, dem prächtigen Baum, den vielen Kerzen und der friedlichen und harmonischen Stimmung.
15
Revolten
Das nun folgende Jahr 1970 sollte zu einem Höhepunkt von Stockhausens Karriere werden, seiner weltweiten Anerken nung als hervorragender Komponist, musikalischer Erfinder und Neuerer. Auch in meinem Werdegang als Künstlerin kann man dieses Jahr wohl als das wichtigste bezeichnen.
Tagsüber erarbeitete ich in meinem Forsbacher Atelier meine fünfte Ausstellung bei Bonino, während Karlheinz sich in der Endphase seiner Vorbereitungen für den deutschen musikali schen Beitrag zur Weltausstellung im japanischen Osaka be fand. Abends kamen wir wie gewohnt zusammen und tauschten uns über unser jeweiliges Tagwerk aus. Meine Ausstellung sollte thematisch aus zwei Werkgruppen bestehen und besonders komplex werden. Zum einen hatte ich mir mein eigenes Malmaterial zum Sujet gewählt: Ich hatte Pinsel, Bleistifte und Staffeleien in den unterschiedlichsten Größen, Farbtuben und sonstiges Werkzeug in allen möglichen Verzerrungen nachgeschnitzt. Meine Bilder wurden zu Skulpturen. Zum anderen arbeitete ich schon seit 1969 an einem Dialog mit Werken alter Meister, indem ich Zitate daraus in meine Arbeiten einfügte, sie verfremdete und kommentierte.
Im Werk Easle Progressions verknüpfte ich beides. Auf einer Serie von sieben Staffeleien, die zwischen fünf Zentimetern und drei Metern achtzig hoch waren, hatte ich Bildzitate von Quentin Metsys’ Le prêteur et sa femme (Der Geldwechsler und seine Frau) angebracht, einem Werk aus dem frühen 16. Jahrhundert. Damals hatte die Säkularisierung der Kunst begonnen: Nicht mehr nur Madonnen, Heilige, Herrscher, sondern ganz normale Menschen, eben auch ein Geldwechsler, konnten Sujets für einen Maler sein. Mit der Wahl gerade dieses Bildes wollte ich auch auf das Zusammenspiel von Kunst und Geld, Kultur und Reichtum in der Gegenwart anspielen, Amerika bot ja eklatante Beispiele dafür. Viele mögliche Variationen, Umspielungen der diversen Bildmotive ergaben sich: der Geld zählende Mann, seine in
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