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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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vermissten die wilden Pariser Zeiten nicht, und Magritte brauchte sie offenbar auch nicht, um seine Bilder zu malen.
    Zurück nach Saint-Paul-de-Vence: Am nächsten Tag gingen wir mit Miró und dem Ehepaar Maeght zu Marc Chagall, der ganz in der Nähe wohnte. Der Zweiundachtzigjährige hantierte in einem lichtdurchfluteten Atelier vor einer großen Staffelei und wirkte sehr zerbrechlich. Miró und den Maeghts gegenüber war er zuvorkommend und höflich, Karlheinz und mich begrüßte er fast schüchtern. Dann kam seine Frau Walentina dazu, die er liebevoll Wawa nannte. Sie war eine füllige Frau, hatte ein schönes Gesicht. Ihr schwarzes Haar im Nacken zu einem Knoten geflochten, wirkte sie um gut zwanzig Jahre jünger als ihr Mann. Sie trug eine Schürze, so vermuteten wir zunächst, sie wolle uns bewirten. Aber nein – sie schleppte nach und nach aus einer Stellage Chagalls Bilder herbei und postierte sie auf eine bereitgestellte Staffelei. Tatkräftig und wie selbstverständlich machte sie das. Es verbot sich uns, ihr zu helfen. Das hier war ihr Revier, und auf einmal erschien uns Chagall gar nicht mehr so fragil und schutzbedürftig. Hier hatte er seinen Schutz, hier war seine Stütze. Walentina würde sein Werk über seinen Tod hinaus zuverlässig verwalten. Und wie wunderbar war es später zu beobachten, wie sie ihn fast zärtlich bei Tisch bediente. Dieser robusten Person hätte man so viel Sanftheit in den Gesten ihrem Mann gegenüber gar nicht zugetraut.
    Und wir hatten danach wieder viel zu diskutieren, zum Beispiel darüber, ob und wie es nötig sei, für das Alter eines Künstlers vorzusorgen. Stockhausen riet seinen jungen Komponistenschülern manchmal, sich eine reiche Frau zu suchen, um dann ohne allzu große Geldsorgen ihren Plänen und Ideen folgen zu können. Es sei also nicht nur eine reiche Frau für die Anfangsjahre von Vorteil, um Meisterwerke schaffen zu können, sondern eigentlich auch eine sehr viel jüngere, um dieses Werk später zu bewahren. Oder konnte man diese Hoffnung dann auf die Kinder richten? Nun, wir selbst waren wohl gerade dabei, unseren Kindern mit unserer radikalen Überzeugung »Die Kunst ist das Wichtigste!« diese zu verleiden. Sie hätten sich bestimmt lieber selbst als das Wichtigste gesehen.
    Dann verabschiedeten wir uns, und ich versprach, bald mit eigenen Arbeiten nach Saint-Paul-de-Vence zurückzukommen, um sie den Maeghts zu zeigen. Ein Jahr später tat ich das, einen meiner Kästen mit geschliffenen Linsen im Gepäck. Diese Linsenkästen musste man wie Bücher dekodieren, lesen, dabei allerlei assoziieren, und ich fiel bei Madame Maeght prompt damit durch. Vielleicht hätte ich lieber ein großes, von Weitem erkennbares Steinbild mitbringen sollen …
    Als Nächstes waren wir bei Max Ernst zu Gast, der, inzwi schen auch schon fast achtzigjährig, mit seiner Ehefrau, der amerikanischen Künstlerin Dorothea Tanning, in dem kleinen provenzalischen Dörfchen Seillans lebte. Stockhausen hatte sie im Jahr zuvor bei der Uraufführung von Stimmung in Paris kennengelernt. Nun besuchten wir sie in ihrem provenzalischen Bauernhaus. Max Ernst führte uns nach oben, um uns unter der Dachschräge sein Atelier und seine Bilder vorzuführen. Es fiel mir schwer, meine Enttäuschung zu verbergen. Ich hatte sein Jugendwerk immer bewundert. Hier schien ihm nun die Kraft zu fehlen, die Ausstrahlung. Ich hatte richtig Mühe, seine Bilder zu loben, doch er schien Lob dringend zu brauchen – ganz anders als zuvor Chagall oder Miró.
    Ich schwor mir damals, sollte ich im Alter einmal so verkümmern, mit dem Malen aufzuhören. Wie unrecht habe ich ihm doch in meiner Überheblichkeit damals getan! Denn heute noch, mit über siebzig Jahren, packt mich oft ein derart starker Gestaltungsdrang, dass ich nicht anders kann, als ihm zu folgen. Es ist wie ein Sog, ich habe das Gefühl, krank zu werden, sollte ich mich ihm verweigern. Und es schert mich einen Teufel, was andere darüber denken oder wie sie urteilen – ob ich nun einen acht Meter hohen Treppenturm im Garten baue, um dort meine Steine zu lagern, oder ob ich Kürbisse mit geheimen Zeichen versehe, so dass die Vernarbungen sich beim Wachsen herausbilden. Zeichen frühen Irrsinns, so nannte meine spätere New Yorker Galeristin Barbara Staempfli einmal schon meine frühen Steinbilder. Zeichen späten Irrsinns könnte ich heute meine gesamte Altersphase nennen. Verzeih mir, Max Ernst, dass ich deine späten Arbeiten damals mit deinem

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