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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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der man sich wie in einem Raumschiff fühlte, abgedunkelt, nur kleine Lichter, die wie Sterne am Firmament wirkten, die Lautsprecher unsichtbar. Die Klänge wurden von Instrumentalisten erzeugt, aber dann von Stockhausen am Reglerpult übernommen und, in den Lautstärken variiert, durch den Raum geschickt oder gejagt, mal blitzschnell die Zuhörer umkreisend, mal an einem Ort wie abwartend innehaltend.
    Auf der Plattform für das Publikum konnte man stehen, sitzen, liegen oder, wenn es sehr voll war, eher nur kauern. Einlass war alle zwanzig Minuten, in der Zwischenzeit durfte niemand den Raum betreten oder verlassen. Die Disziplin der Zuhörer war erstaunlich. Es hatte sich herumgesprochen, dass neben dem USA -Pavillon die Kugel der Deutschen unbedingt das Erlebnis wert war, ein Muss für alle Besucher der Ausstellung, und so bildeten sich lange Schlangen vor dem Eingang.
    Rückblickend gesehen war der Osakaaufenthalt auch ein Höhepunkt unserer gemeinsamen Zeit. Ich konnte miterleben, wie Karlheinz seine Instrumentalisten einschwor auf das Leben und Wirken im Kollektiv, das uns eher fremd geworden war. Alle Mitwirkenden hatten sich ja schon zu sehr unabhängigen Musikern herausgebildet, nun galt es, die individuellen Eigenheiten wieder in den Hintergrund treten zu lassen zugunsten einer Gemeinschaft, in der man sich ganz eng zusammenfand. Was sie miteinander hervorbrachten, war ja viel mehr als eine vielleicht nur einmal als Einlage gebotene individuelle Improvisation – nichts war hier vorgegeben, kein Takt, kein Formschema, keine bestimmte Harmonik. Alles entstand im Moment der Aufführung und fiel mehr oder weniger gut aus, je nachdem, in welcher Verfassung und Laune die Musiker waren, mit was sich ihre Gedanken gerade beschäftigten, auch ob und was sie vielleicht zuvor gegessen hatten.
    Allmählich kamen doch einige Partner oder Partnerinnen nachgereist. Stockhausen meinte dazu: »Es ist vielleicht doch besser, sie bei euch zu haben als ständig nur in eurem Kopf. Die Köpfe müssen bei der Musik sein.« Viele ernste Gespräche drehten sich um das Thema des Künstlertums, um die ersten und alle weiteren Pflichten eines Menschen, der sich der Kunst verschrieben hat, um seine Verantwortung der eigenen Begabung gegenüber. Es kam der Vergleich mit den mittelalterlichen Bauhütten auf und es wurde der Geist beschworen, aus dem heraus die großen Kathedralen erbaut worden waren. Stockhausen erzählte von diesen Steinmetzen und Steinsetzern, von den Bruderschaften der Handwerker: Sie lebten auf engstem Raum miteinander, aßen dieselben Speisen und gingen jeden Morgen, bevor sie das Gerüst bestiegen, zur Kommunion, wusste doch keiner, ob er abends zurückkehren würde. Die Arbeitsbedingungen boten nicht annähernd so viel Sicherheit wie die heutigen, viele verloren während der oft jahrzehntelangen Arbeit ihr Leben. Die Zünfte sorgten dann für die Familien der Verunglückten.
    Ob man diesen Geist der Bruderschaft wieder beschwören konnte? Ob seine Musiker das schaffen würden ohne einen Gott vor dem inneren Auge? Sie waren ja im Unterschied zu ihm fast alle Agnostiker oder Atheisten. Konnten sie die geforderte Musik erschaffen nur um ihrer selbst willen statt im Dienst einer höheren Idee – also l’art pour l’art ?
    So ging es oft bis spät in die Abende. Johannes Fritsch, Rolf Gehlhaar, David Johnson waren dabei, sie hatten Stockhausen lange treu gedient als Musiker, nabelten sich aber gerade jetzt, hier in Osaka, von ihrem Übervater ab. Vor allem Vinco Globokar und seine Gruppe strebten eine Emanzipation vom Komponistendiktat an. Sie fanden, ihre Rolle als Interpreten werde unterschätzt, Stockhausen hätte ja nur den ersten Impuls gegeben. Der Musik wollten sie zwar weiter dienen, aber nicht, wenn nur er als der Autor gelte. Das Komponieren und das Interpretieren müsse zumindest gleich bewertet werden, zumal wenn man bei der Aufführung nicht von Noten, sondern nur von einem inspirierenden Text ausgehe.
    Es brodelte. Im Moment ordneten sie sich noch dem Maestro unter, er hatte ihnen ja auch die Engagements vermittelt, und die Begeisterung des Publikums dankte es ihnen. Aber der Abschied war absehbar. Wie sie das allerdings Stockhausen beibringen konnten, ohne ihn zu sehr zu verletzen, war ihnen noch nicht recht klar.
    Stockhausen seinerseits sah seine Ideen gefährdet durch den um sich greifenden Drogengenuss unter den Mitspielern. Manche waren von den monatelangen Proben und Vorführungen derart

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