Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
einem Kunstbuch blätternde und lesende Frau (für die damalige Zeit keine Selbstverständlichkeit) und der sich in einem kleinen Hohlspiegel selbst abbildende Künstler, der vermutlich der Geliebte der Dame war. Das alles hatte ich zusammen mit Skizzen, Materialproben und schließlich der in Holz nachgeschnitzten Hand des Geldwechslers, der freilich bei mir Steine zählte, in einer langen Reihung über Fußboden und Wand geführt und in die riesige Schublade der größten Staffelei münden lassen, in der es zuletzt verschwand.
Stockhausen und ich waren also beide in einer intensiven Arbeitsphase. In Forsbach stapelten sich die Transportkisten für New York, in Kürten war ein reges Telefonieren, Organisieren und Verhandeln mit Musikern einerseits und Kulturbeamten andererseits im Gang.
Nach monatelangem zermürbendem Hin und Her schon im Vorjahr, viel wertvolle Zeit war darüber verronnen, hatten sich die Zuständigen endlich für Stockhausen als Hauptattraktion für den deutschen Beitrag zur Weltausstellung in Osaka entschieden. Seinem Wunsch, dabei mit dem Künstler Otto Piene zusammenarbeiten zu können, wurde allerdings nicht entsprochen. Seit die beiden sich im März 1960 in meinem Atelier in der Kölner Lintgasse bei der Vorführung von Pienes Lichtballett kennengelernt hatten, wünschten sie sich eine Gelegenheit zur Kooperation. Piene lebte mittlerweile in Chicago und arbeitete am IAT , dem Institute of Art and Technology, wo er viele Projekte realisieren konnte – Deutschland hatte er für sich im Grunde schon abgeschrieben. Als die Bundesbehörde nun den gemeinsamen Vorschlag absagte, wünschte er Stockhausen einfach Glück bei der Realisierung seines Beitrags, ohne eine Spur von Neid und Missgunst. Das erinnerte mich an die gute alte Zeit Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre, als wir alle das mehr oder weniger karge Brot der Künstler teilten. Bei dem Auftrag jetzt ging es freilich nicht nur um Brot, auch »Kuchen« wäre noch sehr untertrieben gewesen, und entsprechend hoch waren die zu überwindenden Hürden.
Stockhausen war in Japan inzwischen sehr bekannt und angesehen. Auf seinen Vorschlag hin hatte man in Osaka das berühmte Kugelauditorium erbaut und damit seinen lang gehegten Wunsch verwirklicht. Endlich hatte er damit seinen idealen Musikraum. Die Zuhörer sollten auf einer Plattform in der Mitte sitzen, so dass sie eine Rundumbeschallung erlebten. Um eine große Komposition eigens zu dem Anlass fertigzustellen, war es für ihn indessen jetzt zu spät geworden. Dafür kamen nun seine Texte Aus den sieben Tagen von 1968 zu einem angemessenen Einsatz. In diesem Werk hing sehr viel von der Einstimmung der Interpreten ab, von ihrer Haltung, ihrer inneren Beziehung zum Text und zu den Kollegen. Stockhausen hatte großartige Musiker, fast alles ehemalige Schüler, die sich inzwischen selbst zu guten Komponisten entwickelt hatten, die aber immer noch gern mit ihm seine Werke spielten. Das ermöglichte ihnen, ihre eigene Karriere ohne allzu große Geldsorgen anzusteuern, denn als Interpreten wurden sie häufig besser bezahlt.
Das Wichtigste war, darüber waren wir uns sofort einig, dass Stockhausen in Osaka von den ersten Vorbereitungen und Proben bis zur letzten Aufführung dabei sein müsse. Es ging ja darum, einen bestimmten Geist zu beschwören, eine Atmosphäre der Sammlung und Verinnerlichung zu schaffen. Askese war angesagt. Gut, dass die Flüge und die Hotels so teuer waren. So ließen die in Osaka Mitwirkenden ihre Partnerinnen und Partner zu Hause und bereiteten sich umso intensiver auf die Zeit des Zusammenspiels vor, die etliche Monate dauern würde.
Stockhausen flog also ohne mich nach Japan, ich ohne ihn nach New York zu Bonino. Meine Ausstellung dort war die erste, die er nicht miterleben würde, so wie ich nicht bei seiner Premiere in Osaka dabei sein konnte. Die Ausstellung war übrigens wieder erfolgreich, brachte Bonino gute Kritiken und Verkäufe ein – in der Zeitschrift New York war zu lesen: »Es liegt auf der Hand, dass Miss Bauermeister wie der Teufel gearbeitet haben muss. Aber ihre geschickte Handwerkskunst lässt keineswegs ihre eigentümliche Botschaft vergessen. Dies ist ein Fall, wo man in seinen eigenen metaphysischen Spekulationen versinkt.«
Als meine Arbeit in New York getan war, reiste ich Stockhausen nach. Der Eindruck von den Aufführungen in Osaka war überwältigend. Endlich hatte seine Musik den würdigen Rahmen gefunden: eine Riesenkugel, in
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