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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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Cage eine tiefe Freundschaft verband, zum Vater der Konzeptkunst erklärt hat.
    Ich erinnerte Stockhausen daran, dass es in der Musik nicht anders sei: Alles dränge zunächst zum Ausdruck, zum Manifest, und dann wieder zum Ausbruch aus solchen Festlegungen. Wie viele junge Komponisten der Darmstädter Schule, wie man sie später nannte, hatten versucht, die Tradition von Schönberg und Webern zu überwinden! Zunächst war es zwar als Ansporn empfunden worden, die Zwölftontechnik Schönbergs auch auf die anderen musikalischen Parameter wie Rhythmik, Lautstärke oder Klangfarbe anzuwenden. Dann erkannte man aber, dass damit das Gehörte letztlich zusammenhanglos erschien und ebenso gut das Ergebnis reiner Willkür hätte sein können, also nicht nachvollziehbar war. Man empfand die strikte Anwendung der seriellen Kompositionsmethode schnell als zu einengend.
    So werden auch unsere Söhne und Töchter das, was wir errungen haben und als Ausdruck unserer Freiheit zu bewahren suchen, über den Haufen werfen. Unsere Kinder, damals drei und vier Jahre alt – würden sie später überhaupt verstehen, was uns bewegt hatte?
    An dem Abend bei Maeghts kam die Rede auch auf den Surrealisten René Magritte, der sich dem Dogma der Anarchisten nicht hatte beugen wollen und mit seiner Frau zurück nach Belgien gegangen war. Wir hatten ihn schon auf einer früheren Konzertreise nach Brüssel kennenlernen dürfen. Sein Haus in Brüssel war nicht allzu groß, und es erschien fast penibel sauber – ähnlich wirkte Frau Magritte: Sie war klein, sehr gepflegt und zugleich bescheiden zurückhaltend.
    Magrittes Atelier glich einem bürgerlichen Wohnzimmer. Ein halbfertiges Bild stand auf einer Staffelei, der Parkettboden war mit einem Tuch geschützt, die Farben lagen säuberlich aufgereiht neben einer Palette. Als der amerikanische Actionmaler Al Copley, der uns auf dieser Reise begleitete, realisierte, dass es neben diesem Raum nicht etwa ein weiteres und vielleicht chaotischeres Atelier gab, sagte er temperamentvoll: »Da, wo ich arbeite und male, muss die Farbe spritzen und kleckern!« Magritte antwortete scherzend: »Je ne suis pas un artiste, je suis un fonctionnaire d’art.« (»Ich bin eben kein Maler, ich bin Kunstbeamter.«)
    Stockhausen und Magritte waren sich in vielem einig. Sie sprachen über die Überraschungseffekte, die nur in der surrealistischen, nicht aber in der gegenstandslosen Malerei möglich seien. Es bedürfe immer eines Bezugs zur Realität, um das der Realität nicht Entsprechende, das sie Übersteigende ausdrücken zu können. Er, Stockhausen, habe das in seinem Gesang der Jünglinge durch den Bezug zu einem Text aus der Bibel verwirklicht: die Knabenstimme, dann deren Verzerrung, der Übergang vom gesprochenen Text zum gesungenen, zum immer unverständlicher werdenden, bis zum reinen elektronischen Klang, der keinerlei Assoziationen mehr im Zuhörer wecke.
    Was Magritte und Stockhausen ebenfalls verband, war ihre Zugehörigkeit zum katholischen Glauben. Beide hatten in ihrer Jugend viele Schmähungen über sich ergehen lassen müssen wegen ihrer Kirchentreue. Es bedurfte vieler Jahre, bis die jeweilige Avantgardeszene sich daran gewöhnt hatte, dass Künstler wie Stockhausen, Magritte oder auch der synästhetische Komponist Olivier Messiaen an ihrer Religiosität festhielten. Man hatte von ihnen buchstäblich eine Abkehr von dem erwartet, was man nicht einmal mehr Glauben, sondern Aberglauben nannte. Dass Stockhausen diesen Glauben seiner Jugendzeit nicht verließ, ihn höchstens erweiterte und eigentlich in allen seinen Werken den Schöpfer und die Schöpfung bejubelte, hatte man ihm früher sehr übel genommen.
    Luigi Nono zum Beispiel verlangte von einem Künstler, dass er sich politisch engagiere. Das hatte er schon 1958 bei seinem Werk Il Canto Sospeso , der Hymne an einen Widerstandskämpfer, klargemacht. Das interessierte Stockhausen nun überhaupt nicht, alles Politische war für ihn untrennbar mit Krieg verbunden. Er war mit seinen Erlebnissen in der Nazizeit ein gebranntes Kind, und bloßer Realitätssinn oder Humanismus genügten in seinen Augen auch nicht, um Menschen ethisch handeln zu lassen. Es brauchte den Bezug zu einer höheren Instanz. Mit Musik hingegen könne man die Menschheit veredeln.
    Ich fragte Madame Magritte noch, wie ihr Mann das Ver lassen von Paris und die Abkehr von den Kollegen verkraftet hatte. Ihre Antwort war einfach: Sie wollten beide zurückgezogen leben. Sie

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