Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Jugendwerk verglich!
Stockhausen konnte sich besser einbringen, er hatte eine sehr liebevolle Art, sich mit Max zu unterhalten, und konnte auch in diesem Alterswerk noch Rühmenswertes entdecken. Er fragte ihn, ob er sich aus den gegenwärtigen sozialen und politischen Diskursen nun ganz heraushalten wolle, ob es die Einfachheit, das heißt die Reduzierung auf das rein Bildnerische sei, was ihn heute bewege. Das Politische tangiere ihn nicht mehr so wie in seiner Jugend, gab Max Ernst zur Antwort, er habe seinen Beitrag geleistet. Und einfach nur so ein Rot zu malen, das beglücke ihn, mehr brauche er nicht.
Während die beiden sich austauschten, ging ich hinunter zu Dorothea Tanning. Ich wollte auch ihre Bildwerke sehen. Sie zog mich in ihre kleine Malstube, aber so, dass es keiner merkte. Ich war sehr angenehm überrascht von der Qualität ihrer Arbeiten. Lange vor Louise Bourgeois hatte sie sich das Thema »weibliche Kleidung« zur künstlerischen Reflexion vorgenommen. Dass sie damit so bescheiden im Hintergrund blieb, kam mir fast wie ein Ausdruck der Unterdrückung vor. Wie gut ich es doch im Vergleich dazu hatte! Trotz aller Probleme bei der Herstellung meiner Werke – waren sie erst einmal fertig und ausgestellt, war Stockhausen immer sehr stolz auf mich.
Dorothea Tanning zog mich aus ihrem kleinen Atelier wieder hinaus, der Abend war da, und sie rief nun alle zum Essen. Sie hatte sich große Mühe gegeben, ein festlich gedeckter Tisch mit südfranzösischen Speisen erwartete uns. Die Türen zum Garten standen offen, so dass ein leiser Windzug die Kerzen auf dem Tisch flackern ließ. Max Ernst setzte eine schwarze Sonnenbrille auf und saß schweigend, fast finster am Tisch. Das Gespräch verlief schleppend, die Diskrepanz zwischen äußerer Festlichkeit und innerer Trostlosigkeit hätte nicht größer sein können. Es schien uns, als führten unsere Gastgeber keine Ehe, sondern einen Krieg. Stockhausen bemühte sich um eine Unterhaltung und versuchte vergeblich, Max ein wenig aus der Reserve zu locken. Am Ende des Essens wedelte dieser die Kerzen mit der Hand aus und sagte zu Dorothea: »Du weißt doch, dass ich Kerzen hasse.«
Wir nahmen bald Abschied und sahen lieber davon ab, auch noch die Einladung zum gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen anzunehmen. In unserem Hotel besprachen wir, wie wir es immer taten, ausführlich das Erlebte. Wir brauchten etwas Zeit, um uns von der nachwirkenden Missstimmung zu befreien. Ich war überzeugt, dass Dorothea ihren Mann nicht mehr inspirierte und dass er sie als Künstlerin neben sich auch nicht wirklich ernst nahm. Andererseits empfand ich es als sonderbar, dass sie trotz seiner Abneigung gegen Kerzen auf ihrer Tischgestaltung bestanden hatte. Lag der Konflikt vielleicht viel tiefer?
Jedenfalls gehörten Max und Dorothea wohl nicht mehr wirklich zusammen, merkten dies aber offenbar selber nicht. Wir als Außenstehende konnten es gar nicht übersehen und schworen uns in jener Nacht, dass, sollte einer von uns merken, es ist vorbei, er dem anderen diese bittere Wahrheit unter allen Umständen zumuten müsse. Zwei Jahre später würde ich diejenige sein, die diesen Schritt vollzog, doch noch waren wir einfach wieder sehr verliebt ineinander. Wir waren ja auch wieder einmal ohne Kinder, ohne Kunst und ohne Sorgen unterwegs, offen für neue Erfahrungen, und alle schon früher zwischen uns aufgetretenen Probleme waren wie vergessen.
Nach einem sonnigen Frühstück auf der Hotelterrasse setzten wir die Reise fort. Unsere letzte Station war ein Besuch bei dem Maler André Masson und seiner Frau Rose. Diego Masson, der Sohn des Paares, ein Dirigent und Freund Stockhausens, der auch schon die Uraufführung seines Orchesterwerks Stop in einer Pariser Version dirigiert hatte, verbrachte diesen Tag auch bei seinen Eltern.
In Frau Masson erlebten wir eine Persönlichkeit, die alle anderen in den Schatten stellte. Aber sie tat das auf ganz natürliche Weise, ohne Ehrgeiz, ihr selbst lag es ganz fern, irgendjemanden übertreffen zu wollen. Sie erschien uns schlicht als die reine Verkörperung von Liebe, und das Ehepaar strahlte eine Energie aus, die man sonst höchstens bei Jungverliebten kennt. Rose Masson besaß die Tatkraft von Chagalls Frau, den Realitätssinn von Madame Maeght und noch viele erstaunliche Eigenschaften mehr. Stolz zeigte uns die Familie Massons gerade erbautes Atelier im Garten des ansonsten bescheidenen Anwesens. Das ganze Interieur wirkte einfach
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