Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
mit einem Medium in ihrer Mitte, das sich immer wieder in eine Art Trance tanzte und herumwirbelte. Jetzt kam eine dieser Gruppen am Haupteingang an. Vor einem riesigen Stupatempel brannte ein Feuer, das ein Mönch mit Kokosöl in Gang hielt. Über dieses Feuer hielt der herumwirbelnde Tänzer aus der Gruppe nun seinen Kopf samt der enormen zopfartigen Haartracht, die ihn schmückte. Die Dorfleute begleiteten das Ritual mit immer lauter und schnel ler werdenden Trommelwirbeln und Flötenmelodien. Wenn er es schaffte, seinen Kopf in die Flamme zu halten, ohne sich zu verbrennen oder, besser noch, ohne sich auch nur anzusengen, dann würde der Wunsch des Dorfes an die Götter in Erfüllung gehen, sagte man uns. Aber es sei sinnlos, jetzt darauf zu warten, der Beweis könne Stunden dauern, er würde als Höhepunkt der doch anstrengenden und entsagungsvollen tagelangen Pilgerreise der Gruppe auch bewusst hinausgezögert. Den Göttern müsse man Zeit lassen, wenn man ihren Segen wolle.
Wir zogen weiter, drängelten uns über eine Brücke, die ein großes Flussbett überquerte. An den Ufern kampierten Tausende. Bei uns war ein amerikanischer Journalist, in dessen Brusttasche eine Zigarre steckte. Auf diese hatte es ein Bettler abgesehen. Wir boten ihm Geld an, aber er zeigte auf die Zigarre. Der Amerikaner weigerte sich, aber hinter uns drängte die Menge, so dass Stockhausen ihn bat, dem Bettler die Zigarre doch zu geben, damit wir vorankämen. So geschah es, und weiter ging es an Tempeln, Stupas, kleinen Opferstätten und Feuerbecken vorbei. Auf schafottähnlichen Holzgerüsten, drei bis vier Meter hoch, wurden Fakire durch die Menschen massen geschoben. An Fleischerhaken hängend, die in ihre Rücken gespießt waren, weissagten sie oder segneten Kinder, die zu ihnen hinaufgehoben wurden, ebenso wie allerlei Gegenstände, die dann als Talismane zurück in die Dörfer gebracht und dort wie Reliquien im Tempel aufbewahrt wurden, denn man schrieb ihnen magische Kräfte zu.
Trommel- und andere Klänge lockten uns in einen großen, ummauerten Hof mit einem Zen-Tempel. Dort war ein Berg von Kokosnüssen aufgestapelt, die man für wenige Rupien kaufen konnte, um sie auf eine große gemauerte Steinplatte zu werfen. Es galt, sie so auftreffen zu lassen, dass sie in zwei gleiche Hälften zersprangen, denn dann würde ein beim Wurf an die Götter gerichteter Wunsch in Erfüllung gehen. Eifrige Helfer sammelten die zerbrochenen Nüsse ein. Das Kokosfleisch diente zur Herstellung von Kerzen, und die Schalen waren den Mönchen als Gefäße für Getränke, Gewürze oder Opfergaben nützlich. Es ging dabei also auch um den Unterhalt der Priesterschaften, für sie wurden auch die vielen den Göttern geopferten Früchte, Nüsse, Brote und Gewürze eingesammelt.
Als auch noch ein prächtig geschmückter Elefant Einzug in den Hof hielt, zog ich mich zum seitlichen Tempel zurück. Ich war wie benommen, sehnte mich nach der Strenge und Stille des Tempels in Osaka zurück, in den ich mich während der Weltausstellung so oft geflüchtet hatte. Meine Abneigung gegen das überbordend Üppige des Festes war wohl von einem ruhig an der Tempelwand lehnenden Mönch bemerkt worden. Er kam auf mich zu – und sprach mich auf Englisch an: »Seien Sie doch tolerant, unsere Frauen und Kinder brauchen dieses Bunte, Volle, Fröhliche. Wenn Sie sich dem Zen zurechnen, das spüre ich, Sie kommen ja zu meinem Tempel hier, dann gehört Toleranz zu unseren wichtigsten Geboten.« Da hatte ich wieder einmal meine Lektion erhalten.
Stockhausen und ich hatten uns getrennt, damit jeder für sich so viel wie möglich von dem Fest mitbekommen konnte, um sich später mit dem anderen auszutauschen. Ich ging weg von dem Hof und weiter den Hügel hinauf, wohin gerade eine große Schar Mönche unterwegs war. Die Farbe ihrer Gewänder variierte von Dunkelgelb über viele Orangetöne bis fast Rot. Ihr Ziel war ein weißes Viereckzelt, zu dem auch ich mich aufmachte. Ich wollte zu den Mönchen einen gebührenden Abstand halten, doch da winkten sie mich herbei und luden mich ein, in ihre Mitte zu treten. Dort lag aufgebahrt ein toter Mönch, das würdevolle Gesicht erschien mir wie alterslos. Sie bedeuteten mir, den Sarg mit dem Toten zu fotografieren, was ich mich nie getraut hätte. An die Innenseite der Zeltwände waren Fotos und Zeichnungen des Verstorbenen angeheftet, und die Ehrbezeugungen der vielen hundert Mönche ließen auf einen hohen Meister schließen. Einer
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