Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
ausgelaugt, dass sie begonnen hatten, sich das Leben mit Haschpfeifchen etwas zu versüßen. Für mich klang das unter Drogen Erzeugte oft wie musikalischer Brei, während die Interpreten gerade dann meinten, heute seien sie doch großartig gewesen. In meinen Augen war das Selbstüberschätzung – was auch immer sie innerlich an Ekstatischem erlebt hatten, es war ihnen nicht gelungen, es in etwas für andere Nachvollziehbares zu transportieren.
Stockhausens Vorstellung einer musikalischen Gemeinschaft sollte sich erst Jahre später voll verwirklichen lassen, nämlich mit seinen Partnerinnen Suzanne Stephens, einer amerikanischen Klarinettistin, und Kathinka Pasveer, einer holländischen Flötistin, und neben ihnen weiteren Musikern, Kopisten und wechselnden Archivaren. Das Kürtener Haus wurde dann tatsächlich eine Art Musiktempel.
Unser Aufenthalt in Osaka ging dem Ende zu. Rolf Gehlhaar, Peter Eötvös und Mesias Maiguashca übernahmen für den Rest der Zeit bis Mitte September abwechselnd Stockhausens Part am Regiepult. Wir reisten Mitte Juni ab, wollten wir doch in Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, das Juni-Vollmondfest Kataragama nicht verpassen, auf das uns schon vier Jahre zuvor ein indischer Musiker aufmerksam gemacht hatte.
In Ceylon lebten wir die meiste Zeit bei einem singalesischen Teeplantagenbesitzer. Dort fand zunächst eine Vorführung von Kontakte statt, in der Version ohne Instrumentalisten. Die benachbarten Plantagenbesitzer, der Gouverneur des Distrikts, die High Society der Gegend, alle fanden sich zusammen. Zwei erstaunlich gute Lautsprecher waren im großen Atrium installiert worden, es konnte beginnen, aber da wünschte sich Stockhausen, dass auch alle Teepflückerinnen und ihre Familien dazugerufen würden. Zunächst herrschte betretenes Schweigen, dann tuschelte das Gastgeberehepaar miteinander. Die Frau des Plantagenbesitzers trat offenbar für Stockhausens Anliegen ein. Schließlich gab ihr Mann nach, man wollte dem Ehrengast seinen Wunsch nicht einfach abschlagen.
So wurden die Pflückerfamilien, die in einfachen Hütten nahe dem prächtigen Haupthaus wohnten, herbeigetrommelt – im wörtlichen Sinn, denn mit einer Trommel gab der Verwalter das Signal. Er war neben den Besitzern der einzige Singalese, die anderen waren alle Tamilen, und sie hatten, von einigen Hausdienern abgesehen, die Residenz vermutlich noch nie betreten.
Die Vorführung wurde in unseren Augen ein voller Erfolg, es gab langen Beifall. Die Teepflücker winkten uns in den folgenden Tagen oft lächelnd und in die Hände klatschend zu, wenn wir von unseren Ausflügen zurückkehrten. Der deutsche Botschafter hielt uns allerdings später vor, dass wir mit dem Wunsch nach Einbeziehung der Arbeiter einen ziemlichen Fauxpas begangen hätten. Zwar sei es gut ausgegangen, aber wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass sich die Verhältnisse in Zukunft ändern würden. Man könne eine viele Jahrhunderte alte Tradition nicht so eben einmal umkrempeln. Das Kastensystem der Hindus und die gesamte soziale Rollenverteilung, auch das, was uns daran als Unrecht erscheine, müsse man aus den religiösen Vorstellungen der Menschen verstehen. Jeder habe danach das ihm vorgegebene Schicksal selber verdient oder verschuldet, und der Untergebene könne nur durch das Ertragen und Erfüllen seiner Rolle als Diener sich vielleicht irgendwann hinaufarbeiten – nämlich im Verlauf zahlloser Erdenleben.
Als die Zeit des Vollmonds nahe war, verabschiedeten wir uns von unseren Gastgebern und bezogen ein Hotel im Süden der Insel, traditioneller Schauplatz des Kataragama-Festes. Zu diesem Fest kommen alljährlich Zehntausende Muslime, Hindus und Buddhisten teilweise zu Fuß aus ganz Ceylon zusammen. Auf Stockhausens Frage, ob die Christen denn ausgeschlossen seien, antwortete der Mitarbeiter des Goethe-Instituts, der uns zur Seite stand: »Die haben sich selber ausgeschlossen – einerseits haben sich Katholiken, Protestanten und Orthodoxe untereinander nicht einigen können, andererseits wollten sich alle drei nicht auf eine Stufe mit den anderen Religionen begeben. Das hätten sie wohl als Erniedrigung empfunden.«
Vom Hotel aus konnten wir noch eine Strecke mit einem Mietauto fahren, dann mussten wir uns zu Fuß dem gewaltigen Pilgerstrom anschließen. Schon im Verlauf der vorigen Woche waren uns an den verschiedensten Orten Gruppen begegnet, die zum Kataragamafest unterwegs waren. Die Gruppen waren häufig Dorfgemeinschaften
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