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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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Auflösung unserer Dreierbeziehung herauf? Doch noch war der rote Kreis eine Einheit, nur auf dem Bild war er in drei Teile zerbrochen.
    Aus dieser Zeit im Stillhouse stammt auch eine Serie von gezeichneten Szenen. Mit feinster Feder hatte ich auf Seidenpapier jeweils mit einer einzigen Linie eine figürliche Szene dargestellt – eine der wenigen Serien, in denen ich gegenständlich gestaltete. Auf einem der Blätter sieht man Karlheinz und Doris kreatürlich-körperlich verbunden, vier Kinder an Doris’ Hand, alles umrisshaft gezeichnet mit einer durchgehenden Linie. Darunter der Schriftzug »Die goldene Generation«. So nannte Karlheinz die Kinder aus gesegneten Ehen. Daneben sieht man mich, mit Stockhausen Kopf an Kopf verbunden, das heißt, unsere Beziehung war hier noch als »Kopfbegegnung« dargestellt. In meiner Hand halte ich ein Bild ebenfalls mit vier Kindern darauf – sie lebten ja vorerst nur in meiner Vorstellung. Darunter stand in gezeichneten Worten »Die verlorene Generation«. So nannte uns Karlheinz manchmal scherzhaft, alle die Nihilisten, Marxisten, Atheisten, Anarchisten der heimischen Künstlerszene und auch die Pantheisten, zu denen ich mich zählte. Ich hatte mich seit meinem enttäuschenden Konfirmationserlebnis zunächst vom Glauben an einen persönlichen Gott abgewandt, war aber von der Unsterblichkeit der Seele, allerdings im Sinne einer menschlichen Wiedergeburt, überzeugt. Ich empfand es stets als Anmaßung, Gott zu beschreiben, weil er mir unermesslich, unvorstellbar schien. Ich wollte mir kein »Bild machen«. Stockhausen bezeichnete das als goetheschen Pantheismus.
    Er selbst hatte 1961 begonnen, sich vom strengen Katholizismus zu lösen, beendete seine Kirchenbesuche und Beichten, angeregt und befreit durch die Lektüre von Gotthard Günthers Buch Idee und Grundriss einer nicht-Aristotelischen Logik , das ich mit in unsere Beziehung gebracht hatte. Es war ein Sichloslösen von der Kirche, nicht vom Glauben an Gott. Er misstraute mehr und mehr den Vorschriften und Dogmen, konnte nicht mehr alles akzeptieren, was die Kirche zur Sünde oder Nichtsünde deklarierte, lebte ja mit unserer Dreierbeziehung selbst nicht mehr nach ihren Gesetzen.
    Wir hatten im Übrigen gemeinsam 1962 im österreichischen Alpbach an einem interreligiösen Symposium mit dem Thema »Die dogmatische Theologie des Westens und das undogmatische religiöse Denken des Ostens« teilgenommen. Dieser Diskurs hatte Stockhausen mehr und mehr auch für andere Glaubenssysteme geöffnet.
    Unsere Zeit im Stillhouse war stark geprägt durch Jack Brimberg. Er war Jude russischer Abstammung, sprach perfekt Deutsch, zitierte Rilke oder deutsche Romantiker aus dem Kopf. Wenn er allabendlich von der Wall Street zurückkam, ließ er seinen Mantel fallen, eilte ans Klavier und spielte stundenlang die alten Meister. Er war aber auch ein glühender Verehrer von Wagner, andererseits wieder von Schönberg. Er mochte beide, da war er nicht parteiisch. Wagners Antisemitismus war ihm unwesentlich. Wer der Menschheit einen »Tristanakkord« schenke – er sprach davon, als wäre dieser Akkord zuvor im Ungehörten bewahrt gewesen und hätte nur darauf gewartet, durch ein Genie hörbar gemacht zu werden –, dem sei jede Meinung zu verzeihen, sei sie nun politischer, religiöser oder philosophischer Art. Jacks Humor hatte etwas Besonderes. Bei Meinungsverschiedenheiten drohte er Stockhausen: »Vorsicht, ich gehöre zum auserwählten Volk! Besser, du stellst dich gut mit mir!«
    Jack kannte in New York alle wichtigen Persönlichkeiten der Musikwelt. Er lud auch häufig Gäste aus der High Society ein, um ihnen den berühmten deutschen Komponisten Stockhausen vorzustellen. Durch seine Vermittlung lernten wir unter anderem Gloria Caruso kennen, die einzige Tochter des 1921 verstorbenen großen italienischen Opernsängers. Sie besuchte mit Jack oft Konzerte und kam auch zu den Vorträgen von Stockhausen. Musik war auch ihr Nahrung. Die damals Vierundvierzigjährige lebte im Village in einem typischen New Yorker brownstone , das heißt einem der beliebten aus Ziegelsteinen gemauerten Häuser, unverputzt, etwa drei- bis viergeschossig, mit einem Souterrain, zu dem man ein paar Stufen hinabstieg, und einem Parterre, zu dem man eine kleine Treppe hinaufging. Sie bewirtete uns auf südländische Art und zeigte uns Andenken an ihren Vater. Als die Rede auf die moderne und damit auch elektronische Musik kam, erzählte Stockhausen ihr, zu was die

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