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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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würde man mir schon zu einer neuen Identität verhelfen.
    Es wurde langsam Morgen, ich stand immer noch auf dem Balkon, die Stadt schlief, und der ausgeheckte Plan rettete mich aus der düsteren Stimmung. Ja, so könnte ich spurlos ver schwinden. Mein Herz wurde leichter und leichter. Beim Sonnenaufgang hatte sich meine Eifersucht endgültig verflüchtigt. Ich hatte einen Ausweg, und nun brauchte ich ihn gar nicht mehr. Ich war erleichtert und beschloss, Frühstück zu machen. Die beiden schliefen noch. Ich bereitete eine köstliche Tafel und brachte sie den beiden schließlich mit frischem Kaffee ans Bett. Die Stimmung verwandelte sich in fast kindliche Freude. Wir speisten zu dritt miteinander im Bett, es war übrigens Doris’ Geburtstag. Meine Gefühle der letzten Nacht waren mir auf einmal unverständlich.
    Später fuhren wir getrennt in drei Richtungen davon: Doris zurück zu den Kindern nach Long Island, ich ins Museum und Karlheinz zur Baronin Rothschild. Zwischen Stockhausen und ihr hatte sich ein Flirt entwickelt. Als ehemalige Besitzer des Stillhouse waren die Rothschilds öfter zu Besuch gekommen, und die Dame hatte sich vorgenommen, Karlheinz zu erobern. Sie war dabei recht zielstrebig zu Werk gegangen. Jack berichtete mir später ihren Ausspruch: »Ich werde mir schon einen Weg in diese Situation hineinbahnen. Doris hat gelernt, mit Mary zu leben, nun wird sie lernen, mit mir zu leben.« Ich war so arglos, dass ich erst nachträglich bemerkte, dass Stockhausen sich ihrem Reiz nicht hatte verschließen können.
    Wenn ich die Baronin mit einem Wort beschreiben wollte, wäre das: marshmellow . Wenn mehrere erlaubt wären: weiß wie ein weiches Brötchen. Oder mit noch mehr Worten: Sie war eine ungefähr sechzigjährige Schönheit, die noch der Duft einer verwelkenden Edelblume umgab: charmant, witzig, intelligent, kampfeslustig. Sie fuhr zuweilen verschleiert mit dem Taxi in den Hof der Stillhouse Residence ein, um bei Stockhausen zu sein, während Jack als glänzender Gastgeber Doris und mich in New York ablenkte. In der New Yorker Rothschild-Wohnung konnten die beiden sich nämlich nicht treffen, denn Karlheinz war dort, wie er mir später erzählte, wie paralysiert durch das riesige rosa Himmelbett und durch Eugen, den Baron, der nebenan saß.
    Ich weiß bis heute nicht, ob die Abenteuer der Baronin mit Eugens Duldung geschahen. Ihn mochte ich sehr. Er war genau so, wie ich mir einen Adligen vorstellte, souverän, selbstbewusst, eben das, was man einen Herrn nannte. Wir hatten viele Gespräche über Literatur und Philosophie. Mein Vor haben, Die Wahlverwandtschaften von Goethe umzuschreiben, fand er höchst spannend. Jedes Mal, wenn er zu Besuch kam, und das geschah in immer kürzeren Abständen, spannen wir dieses Thema weiter. Es bereitete uns großes Vergnügen, die vier Hauptpersonen und den Berater Mittler, den Vertreter der bürgerlichen Moral, sich in immer andere, neue Kombinationen verstricken zu lassen. Ottilie sollte auf keinen Fall den Christen, also deren Moral, geopfert werden, das Kind würde auch nicht ertrinken. Es war Mittler, auf den wir es abgesehen hatten, er schien uns an allem schuld: Die selbstverständlichste, den Gefühlen der Protagonisten entsprechende Lösung, nämlich den Partnertausch, hatte er durch seine Moralpredigten verhindert.
    Wir pflegten dieses Spiel und freuten uns jedes Mal aufs Wiedersehen, um unsere Geschichte weiterzuspinnen. Bei unserer letzten Begegnung planten wir, eine Überleitung von Goethes Wahlverwandtschaften zu Lessings Nathan der Weise herzustellen. Eugen wollte gar Saladin ins Spiel einführen. Er belehrte mich in vielem, manchmal erschien er mir wie ein Speicher, der alle Literatur in sich aufbewahrte. Dabei war Eugen von Rothschild schon fast achtzig Jahre alt. Er ging am Stock, lange Spaziergänge waren ihm lästig, er zog die Gespräche mit mir vor. Irgendwann gab er mir den Spitznamen »Käthchen von Heilbronn«, was die Baronin sehr echauffierte. Was er damit andeuten wollte, weiß ich nicht, es war auf jeden Fall schmeichelhaft gemeint.
    Die Baronin kam sehr oft. Zu Weihnachten erfragte sie Stockhausens Wünsche, da gab Karlheinz nichts Geringeres als fünfzig maßgeschneiderte Hemden an, mit eingesticktem Monogramm, so wie ihr Mann sie trug. Zu Weihnachten kam dann ein Kurier nach Long Island mit Spielsachen für die Kinder und zwei Edelhemden, die Karlheinz zurückdelegierte mit dem Kommentar: »Nicht zwei , sondern fünfzig .« Er

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