Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
allerdings etwas irritiert davon, in diesem Werk, das ja ein musikalisches Porträt von mir war, all mein Geträller, Gegluckse und Getöne nun durch eine Sängerin und den Chor widergespiegelt zu bekommen. Ich erlebte mich hier sozusagen von außen. Es dauerte danach lange, bis ich meine Unbefangenheit wiedererlangte und in Stockhausens Nähe unbeschwert trällern und pfeifen konnte.
»Du bist der musikalischste Mensch, der mir je begegnet ist«, sagte er mir einmal. Damit meinte er nicht musikalisches Virtuosentum – das fehlt mir völlig –, sondern eher mein sich der Spontanität hingebendes, fast kindlich unbefangenes Daseinsgefühl. Was mir im Leben so wenig gelang, beim Singen schien es mir möglich: mich ungehemmt dem Augenblick und dem zu überlassen, was mir gerade in den Sinn kam.
Willem Sandberg war auch zur Uraufführung der Momente nach Köln gekommen. So konnte er auch gleich meine in Sizilien fertiggestellten Werke besichtigen und für die bevorstehende Ausstellung zwei Wochen später begutachten. Er wählte alle Arbeiten, die ich in Sizilien hergestellt hatte, und einige aus den Fünfzigerjahren aus. Wir ließen sie nach Amsterdam transportieren, und ich fuhr Ende Mai hinterher, um die Hängung im Museum zu organisieren. Stockhausen und ich würden nun zum ersten Mal gemeinsam als Künstler auftreten. Bei den Originalen 1961 hatte ich zwar mitkonzipiert, aber das wurde in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Ich war nur eines der achtzehn Originale, Stockhausen der Komponist, es galt als sein Stück. Hier in Amsterdam waren wir hingegen gleichberechtigte Partner.
Wir hatten uns große Mühe mit der Vorbereitung gegeben. Ein Ausstellungskatalog mit Begleittexten war erstellt worden, die die Parallelen zwischen Stockhausens Musik und meiner Malerei erläuterten. Die Malerische Konzeption war auf einem Faltblatt beigelegt, und Sandberg hatte ein wunderschönes, mich sehr ehrendes Gedicht für den Katalog geschrieben, das übersetzt so lautete:
etliche treppen führen zu einem langen schmalen
raum
am andern ende ein fenster, es öffnet sich zum rhein
– einer der hauptstraßen europäischer kultur –
ein lichter raum …
an den wänden werke von mary bauermeister
alle verschieden in größe und struktur
neue materialien kombiniert mit traditionellen
klare quadrate, stark und konstruktiv
strahlen licht und reinheit aus
in ihrer mitte die hohe gestalt der künstlerin
die künstlerin und das werk sind eins
Das Unternehmen war ein Experiment: Würde die Musik die Bilder bereichern oder würde sie davon ablenken? Doch die Ausstellung wurde ein voller Erfolg. Sandberg war ebenso glücklich wie wir. Das Eröffnungskonzert mit Christoph Caskel und Aloys Kontarsky wurde zweimal gegeben, nachmittags und abends. Beide Male war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Es war die erste intermediale Präsentation in einem Museum, elektronische Musikstücke von Stockhausen und anderen Komponisten wie György Ligeti, Herbert Eimert oder Gottfied Michael Koenig und meine Werke aus den Jahren 1958 bis 1962. Es fanden damals zwar schon Vernissagen statt, bei denen zum Beispiel Jazzmusiker Trompete spielten, aber eine ganztägige Beschallung einer Ausstellung mit elektronischer Musik, das hatte es zuvor noch nicht gegeben.
Es war für mich auch eigens ein verdunkeltes Kabinett hergerichtet worden, in dem ich meine Phosphorbilder ausstellen konnte. Die Farben luden sich im Licht zunächst auf und leuchteten dann eine Weile in der Dunkelheit, bis sie wieder erloschen. Das Verlöschen dauerte bei den verschiedenen Farben von Rot bis zum Violettspektrum unterschiedlich lange. Die Elemente in den Bildern verschwanden also allmählich, gingen sozusagen nacheinander schlafen.
All meine großen Arbeiten hingen nun im Ehrensaal des Stedelijk Museums. Ich hatte sie verknüpft durch Elemente, die von einem Bild ins andere wanderten, die Wand entlang, zur Tür hinaus, zur Treppe und zurück in die Sand-Stein-Kugelgruppe , wie ich es mit Stockhausen geplant hatte. Ich hatte damit also eine horizontale Bilderweiterung hergestellt.
Man führte diese erfolgreiche Kombination von Ausstellung und Musikwiedergabe anschließend auch noch in den vier anderen Museen für moderne Kunst in Holland durch: Sie wanderte bis April 1963 weiter nach Groningen, Schiedam, Den Haag und Eindhoven. Die holländische Presse reagierte überwiegend begeistert. In Deutschland nahm man dagegen kaum Notiz von unserem Auftritt bei
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