Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
verheiratet.
Seit Schönbergs Tod verwaltete seine Frau das musikalische Werk. Sie hatte sein Komponierzimmer so belassen, wie es zuletzt benutzt worden war. Dieses Zimmer durfte ich anfangs nicht sehen, denn Frau Schönberg zeigte sich schockiert darüber, dass Stockhausen sechs Jahre nach seinem ersten Besuch bei ihr, das war auf seiner USA -Tournee 1958 gewesen, nun eine andere Frau bei sich hatte. Hätte er ihr das bereits am Telefon mitgeteilt, hätte sie uns wahrscheinlich abgesagt, in ihrem Alter könne sie das nicht mehr, sich einfach an eine andere Frau gewöhnen! Was denn aus seiner reizenden Doris geworden sei?
Ich lauschte zunächst schüchtern und stumm. Hier kam wieder der alte Zwiespalt hervor, der Konflikt zwischen erster und zweiter Frau, Abraham zwischen Sara und Hagar. Wem gebührte der Segen? Es kam mir wie ein alttestamentarisches Rechten und Richten vor. Ich hätte davonlaufen mögen. Die ständige Rechtfertigung für unser Lebensmodell wurde mir allmählich doch zu peinlich. Frau Schönberg stand für die Rechte und Ansprüche der ersten Frau ein, aber kann nicht auch die zweite Frau – sei es nun die heimliche Geliebte oder aber die offen akzeptierte – das Bindemittel sein, das eine ins Stocken geratene Ehe zum Überleben braucht? Erhalten sich nicht viele Ehen und Familien erst durch solche Beziehungen? Karlheinz erklärte ihr geduldig, ja, Doris sei immer noch reizend und charming , ja, sie sei immer noch seine Frau, ja, Hauptfrau. Mittlerweile hätten sie vier Kinder, und wir lebten in einer toleranten Dreierbeziehung.
Die aufgebrachte Witwe schien besänftigt, sie wurde sogar neugierig und wollte erfahren, wie das wohl ginge mit unserer Ehe zu dritt. Ihre Neugier überwog ihren Widerstand. Ich konnte aufatmen und versuchte, das Gespräch auf das zu lenken, was mich interessierte. Wir sprachen über die Haltung nichtjüdischer Künstler zum »Dritten Reich«. Wie hatten sich zum Beispiel die Bauhaus-Künstler verhalten? Wie waren sie damit umgegangen, wo sie doch auch der »entarteten Kunst« zugeordnet wurden? Warum hatten diese Künstler und Intellektuellen sich nicht mit ihren jüdischen Kollegen verbündet? Hatten sie Hitler nicht ernst genug genommen, zu spät die Gefahr erkannt?
Frau Schönberg erklärte, dass man Kandinsky oft mit Schönberg verglichen habe, so wie Webern mit Malewitsch. Und von Kandinsky habe ihr Mann erwartet, dass er sich öffentlich einsetzte, sich bekannte zur Freiheit des Geistes. Es sei auch nicht der Krieg an sich gewesen, den man den Nazis zum Vorwurf gemacht hätte. Den zu vermeiden sei aussichtslos, er gehöre zur Welt wie der Tod zum Leben, habe Schönberg gesagt. Wir waren uns einig darin, dass Hitler das wunderbare deutsch- jüdische Geistesleben vernichtet hat. Das, was sich einst in Wien, Berlin und Prag an kulturellen Entwicklungen herausgebildet hatte, würde es so nie wieder geben.
Ich fragte noch vieles, was zu wissen, zu erfahren mir auf der Seele lag. Mich interessierte, wie sie mit ihrem Emigrantendasein in den USA zurechtgekommen waren und welchen Einfluss es auf Schönbergs Komponieren ausgeübt hatte. Diese Fragen hatten mich Frau Schönberg wohl sympathischer werden lassen, und so stand sie auf und zog mich doch mit sich nach oben in Schönbergs Studio. Sie wollte es mir auf eine würdige Weise zeigen, nicht so, wie man es neugierigen Touristen präsentierte. Die Räume waren ihr heilig. Dort habe er gesessen und die Kriegsberichte gehört – der Radioempfänger stand noch in der Ecke. Er habe Nachrichten aus Deutschland empfangen und auch aus London über die BBC , wobei die jeweiligen Meldungen sich natürlich widersprochen hatten. Und seltsam, er habe zu Deutschland gehalten, obwohl er vor dem Naziregime hatte fliehen müssen. Das Desaster des Russlandfeldzugs habe er wie eine persönliche Niederlage empfunden. Er sei eben aus tiefstem Herzen Deutscher gewesen, obwohl er in Wien geboren war und überwiegend dort gelebt hatte.
Während unseres Gesprächs im Komponierzimmer ihres Mannes war Gertrud Schönberg zunehmend traurig und still geworden, schließlich begann sie sogar zu weinen. Da nahm Karlheinz die kleine Frau liebevoll in seine Arme, die er wie eine Schutzhülle um sie legte. Er lehnte seine Stirn an die ihre. So verharrten sie beide eine Weile, dann sagte er behutsam: »Diese Umarmung kommt von Ihrem Mann. Solange er in Ihrem Herzen weiterlebt, ist er nicht gestorben.« Stockhausen konnte ein wunderbarer Tröster
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