Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
sein.
Unser nächster Besuch galt Marta Feuchtwanger, der Witwe des in den Zwanziger- und Dreißigerjahren sehr erfolgreichen Schriftstellers Lion Feuchtwanger.
Die beiden waren auch vor dem Naziregime geflohen und hatten sich 1941 in Los Angeles niedergelassen. Sie hatten die Villa Aurora in den Hügeln von Pacific Palisades bezogen, die bald zu einem beliebten Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen geworden war. Man hatte von dort einen traumhaften Blick auf den Pazifik. Von der Straße betrat man durch ein sehr kleines Tor das Anwesen und gelangte über einige Treppen und Absätze hinab ins Haus. Der Eingang wirkte unspektakulär, fast bescheiden im Vergleich mit der Kostbarkeit des Inneren. Ich nahm mir vor, würde ich je ein eigenes Haus bauen, dann sollte der Eingang auch so wie hier nebensächlich erscheinen.
Drinnen dann entfaltete sich eine erlesene Kultur; uns fiel aber sofort auf, dass sie rein europäisch war. Wir waren ja auf dieser USA -Tournee bereits durch verschiedene Städte gekommen, und überall hatte sich das Gemisch der Völker und Kulturen, die in Amerika zusammenkamen, in entsprechenden Eindrücken niedergeschlagen – alles kunterbunt neben- und übereinander. Hier jedoch war alles typisch europäisch: die Bücherwände gefüllt mit Werken in braunen Ledereinbänden neben den wenigen Ölbildern. Den meisten Platz nahmen ja die Bücher ein. Auf Fenster- oder Kaminsimsen lagen Fundstücke aus der Natur, das fiel mir als Sammlerin von auffindbarem Schönem sofort auf. Ja, das habe sie vom Strand unten, angeschwemmte Holzstücke, von Wasser und Salz glatt poliert, als wären sie durch die Hände eines Bildhauers oder -schmirglers gegangen.
Die Küche war hell und geräumig, fast feudal, daneben lagen ein großer Speisesaal und der Salon. Hier hatten sich häufig Gäste versammelt. Denn nach und nach waren immer mehr Emigranten aus Europa nach Pacific Palisades gekommen, und so seien sie sozusagen zum »jüdisch-deutschen Konsulat« geworden, so bezeichnete man scherzhaft die Villa Aurora. Deutsch hätten sie sich schon noch gefühlt – der Ausgang des Krieges war ungewiss und wurde in Presse und Radio von allen atemlos verfolgt. Würde man irgendwann zurückkommen, würde es dann das alte Deutschland wieder geben oder geben können? In diesem Bewusstsein, allein schon der Sprache wegen tief im Deutschen verwurzelt zu sein, waren sich fast alle einig. Doch da, wo sie Juden waren, da seien sie unterschiedlicher als Feuer und Wasser gewesen. Sie habe als Vermittlerin fungiert, sagte Frau Feuchtwanger, sei in keine Feindschaften verwickelt gewesen. Aber jonglieren musste sie, denn manche der anderen seien wie Katz und Maus gewesen, zum Beispiel Schönberg und Strawinsky. Letzterer war zwar nicht jüdischen Glaubens, hatte Frankreich aber verlassen, als die Deutschen 1940 Teile des Landes besetzten. Einladungen habe man dezent so einrichten müssen, dass der eine den anderen nicht traf. Vorher wurde telefonisch nachgefragt, ob Gäste, die man nicht sehen wollte, anwesend seien oder man deren Auftauchen zu befürchten habe. Spontane Besuche kamen für die Verfeindeten nicht in Frage. Dies habe sie letztlich so belastet, dass sie das Jonglieren aufgegeben habe.
Uns interessierte, warum manche Künstler so zerstritten waren. Bei Strawinsky und Schönberg hätte man es ja als musikalische Kontroverse verstehen können, aber was entzweite die anderen, die Schriftsteller und Philosophen? Sie erklärte, dass es beispielsweise um die Treue zur eigenen Religion und die Abtrünnigkeit durchs Konvertieren zum Christentum gegangen sei. Auch um nicht akzeptierte Partnerschaften, wie im Fall von Heinrich Mann, dessen zweite Ehefrau Nelly Kröger aufgrund ihrer nicht standesgemäßen Herkunft in diesem großbürgerlich-intellektuellen Umfeld nicht anerkannt wurde. Es herrschten also eigene Enge und Intoleranz. Jeder habe nach seinen Regeln weitergelebt, in den USA war das möglich. Aber dass man dem Andersdenkenden oder -glaubenden seine Meinung aufzwingen wollte, das sei typisch gewesen. Vielleicht sei ein weiterer Grund für die Differenzen der künstlerische Ehrgeiz unter Männern gewesen, das ständige Vergleichen, das Bessersein-Wollen, der Beste-sein-Wollen.
Weitere Streitpunkte konnten wir uns gut vorstellen: die Beurteilung der Entwicklungen in Deutschland, Hitlers Maßnahmen gegen die »entartete Kunst«, da gab es ja genug, worüber man diskutieren und streiten konnte. Feuchtwangers Haus
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