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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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musikwissenschaftlichen Institute an den Universitäten und Colleges, die wir besuchten, oft selbst keine praktizierenden Musiker waren. Sie hatten sich an der Universität, manchmal sogar an derselben, an der sie studiert hatten, bis zur Spitze der Leitung hochgearbeitet. Stockhausen wunderte sich, wie das möglich war, ohne sich als Komponist und in der konzertanten Praxis bewährt zu haben. Die Erklärungen der Institutsleiter reichten von Bescheidenheit bis zu Mutlosigkeit. Manche wären schon gerne Komponisten geworden, ihnen hatten nur Elan und Ausdauer gefehlt. Anderen ging es mehr um das Bewahren und Vermitteln an die nächste Generation. Es gebe so viel gute Musik, da brauchten sie sich nicht auch noch als Komponisten hervorzutun.
    Stockhausen war weder mutlos noch bescheiden. Er war ein Zugpferd, ein Macher, ein Inspirierter und Inspirator. Nach seinen Vorträgen scharten sich die Studenten um ihn, sie hatten zahllose Fragen, und obwohl Stockhausen selbst noch jung war, gerade einmal sechsunddreißig Jahre alt, befragte und achtete man ihn wie einen verehrungswürdigen Meister. Manchmal baten Studenten mit einer Partitur in der Hand schüchtern um eine private Unterredung. Stockhausen widmete sich diesen Partituren, brachte sie innerlich zum Klingen, befragte und beriet dann die Schüler: »Was wollen Sie damit ausdrücken?«Oder: »Ja, das ist ein neuer musikalischer Gedanke.« Oder auch: »Diese Passage sollten Sie wiederholen, mehrmals, damit sie ins Bewusstsein des Hörers dringt. Variieren Sie dabei leicht, aber nicht zu sehr, es muss als Wiederholtes wahrnehmbar bleiben.« Noch Jahrzehnte später erreichten ihn Briefe von Musikern, die ihm für seine Ratschläge dankten und ihn an ihrem Werdegang teilhaben ließen.
    Nach der Konzerttournee zogen Karlheinz und ich, es war das Frühjahr 1964, in ein Zweizimmerapartment an den Riverside Drive, Ecke 116. Straße in Manhattan. Dort sollten meine besten Arbeiten aus der New-York-Zeit entstehen, zum Beispiel Don’t defend your freedom with poisoned mushrooms or Hommage à John Cage . Die vergifteten Pilze spielen auf die Absurdität an, die Freiheit mit atomaren Waffen, also mit einem Atompilz, verteidigen zu wollen – wir befanden uns ja auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Karlheinz fuhr von New York City aus regelmäßig nach Philadelphia zu seinem Kompositionskurs. Unser Arbeitszimmer war schmal und langgezogen, wir hatten zwei Tische hintereinanderplatziert. Stockhausen saß am Fenstertisch und komponierte. Ich arbeitete am hinteren Tisch, an der Tür zum zweiten Zimmer, in dem meine Malmaterialien lagerten. Flur und Wände, Fenster und die Küche hatte ich mit Fundstücken vom Strand, mit Tüchern und anderem bestückt, es war ein schönes Ambiente geworden. Stockhausen dazu: »Wo du bist, wird es immer wie im Märchen.«
    Ich baute meine ersten Linsenkästenmit visuellen Verzerrungseffekten. Das Material, das ich dazu benötigte, waren jene optischen Gläser aus dem Antiquitätenladen in Holland. In hölzerne Kästen bettete ich Naturobjekte wie Schmetterlingsflügel oder Gerippe von zerfallenen Blättern, die ich zwischen zwei Gläser geklebt hatte, ebenso Zeichnungen und kleine beschriftete Kugeln. Darüber legte ich in mehreren Schichten Glasplatten mit weiteren Objekten und Zeichnungen. Über das oberste Glas konnte man dann mit den optischen Linsen fahren und sich das Darunterliegende näher betrachten.
    Der Durchblick durch Negativ- und Positivlinsen, also verkleinernde, vergrößernde, umkippende, je nach Abstand und Brennweite, hatte, wie schon erwähnt, Stockhausen auf die Idee gebracht, das ins Musikalische zu übersetzen. So entstand die Mikrophonie I , ein Stück, bei dem auf jeder Seite eines riesigen Tamtams zwei Musiker stehen. Die einen entlocken dem Tamtam mit allerlei Gegenständen Klänge verschiedenster Art, die beiden anderen nehmen diese Klänge und Geräusche mit Kontaktmikrofonen auf und variieren sie je nach Abstand des Mikrofons. Der musikalische Leiter sitzt in der Mitte des Saales an einem Mischpult und überformt das Ganze noch einmal, kontrolliert und beeinflusst es. Uraufgeführt wurde das Werk am 9. Dezember 1964 in Brüssel.
    In unserem kleinen Zimmer übernachtete auch häufig meine Freundin Hala Pietkiewicz, wenn sie spätabends nicht mehr zurück nach New Jersey kam, wo sie wohnte. Hala half mir bei der Fertigstellung eines Werks, das von der Decke hing und an das wir mit Hunderten herabhängender Fäden jene

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