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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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New York diesen Spitznamen verpasst, weil ich immer gesund und braun gebrannt daherkam, denn die früheste Frühlingssonne genoss ich schon auf dem Dach meines jeweiligen Ateliers. Dort oben standen die Wasserbehälter, es waren herrliche Oasen fürs Sonnenbaden. Durch die Stadt lief ich oft barfuß, meine Möbel entdeckte ich morgens zwischen fünf und sechs auf dem Sperrmüll. Ich fuhr mit dem Fahrrad durch die Straßen, markierte die Dinge, die ich brauchte, um sie später – meistens mit Hilfe von Ray Johnson, der mir immer mehr zum Freund wurde – auf einer Karre ins Atelier zu schaffen.
    Jetzt hatte ich also auch mit der anderen Seite dieser atemberaubenden Glitzerstadt Bekanntschaft geschlossen. Mir wurde klar, warum in jedem größeren Haus ein doorman angestellt war, der die Besucher notierte. In Häusern ohne Concierge pflegten die Besitzer einen Zehndollarschein innen an die Haustür zu legen, den sich die Drogensüchtigen abholen konnten, um damit zum nächsten Schuss zu verschwinden. So konnte man verhindern, dass die Wohnungen komplett durchwühlt wurden. Auch Boninos, meine Galeristen, taten das, nachdem bei ihnen bereits drei Mal eingebrochen und alles verwüstet worden war.
    Wo Reichtum sich türmt zu Wolkenkratzerhöhen, da untergräbt eben Armut diese Fülle. Nachts öffnen sich die U-Bahn- Schächte, und ein ganz anderes Völkchen treibt dann sein Wesen oder Unwesen. Mit eigenen Methoden, einer eigenen Polizei, mit Spitzeln, Zuträgern, Zuhältern, ja, einem Moralkodex ganz anderer Art. Auch diese Menschen hielten zusammen, halfen und unterstützten sich bei der Umverteilung. Tunnelmenschen nannte man sie. Sie lebten in stillgelegten U-Bahn-Schächten, wo sie sich mit alten Möbeln zimmerartige Räume gebaut hatten. Auch eine Art Kirche hatten sie erbastelt. Alles war improvisiert, aber es funktionierte. Zahlreiche Legenden rankten sich um diese tunnel people . So erzählte man sich zum Beispiel, dass sie sich einen »Bürgermeister« als Anführer gewählt hatten. Die Essensversorgung war gut organisiert, sie verfügten über provider , also Versorger, die ihnen mit der Unterstützung der kitchen slaves , der Küchenarbeiter, die Essensreste aus den Restaurants brachten. Soziale Netzwerke gab es auch. So hütete eine Gruppe gemeinsam das Kind einer Prostituierten, die anschaffen ging und danach Waren, die benötigt wurden, mit hinunter in die Tunnelgänge brachte.
    Einmal begegnete uns einer dieser Tunnelmenschen mitten in Manhattan. Karlheinz und ich warteten mal wieder im Tagesstau auf ein Taxi. Gerade als wir überlegten, ob wir nicht doch die U-Bahn nehmen sollten, öffnete sich seitlich an der Fahrbahn zunächst behutsam, dann energisch ein Kanaldeckel. Wir rechneten damit, einen Monteur im Blaumann heraussteigen zu sehen. Doch nein, es erschien zunächst ein Hut, dann ein Jackett, schließlich ein ganzer Mann im Anzug. Wir glaubten beide, in eine Filmszene geraten zu sein, konnten aber weder Kamera noch Filmteam entdecken. Der Herr dankte durch den Kanalschacht jemandem, der ihm – uns nicht sichtbar – vermutlich mittels Räuberleiter von unten hinaufgeholfen hatte. Der Taxifahrer, der inzwischen neben uns angehalten hatte, klärte uns während der Fahrt auf. Nicht alle Obdachlosen, die dort unten hausten, seien verwahrlost. Viele versuchten ja noch, einen Job zu bekommen, und dieser Mann habe sicher einen Vorstellungstermin oder Ähnliches gehabt. Tatsächlich, er hatte sogar eine Aktentasche bei sich getragen. Es war urkomisch und tragisch zugleich. Wer hier in New York überleben wollte, der musste tough sein.
    Doch die New Yorker schienen ihre Stadt einfach zu lieben. Das zeigte mir auch ein Gespräch auf der Straße mit einem offensichtlich drogenabhängigen, in der Obdachlosigkeit gestrandeten jungen Mann. Ich hockte mich zu ihm hinunter und fragte ihn, warum er nicht aufs Land ziehe, statt hier in der Gosse zu sitzen. Nein, da wäre er noch einsamer, hier habe er wenigstens seine Mitmenschen, seine Leidensgenossen, und schließlich sei er New Yorker. In New Jersey zum Beispiel hätte er nichts verloren. »Ich liebe diese Stadt. Sie ist nicht immer nur grausam.«
    In jener Nacht unseres beobachteten Überfalls auf den alten Herrn setzte Hala mich schließlich vor dem Gebäude am Riverside Drive ab. Der doorman ließ mich hinein, ich fuhr mit dem Fahrstuhl auf unsere Etage, öffnete die Wohnungstür. Stockhausen schlief schon. Zitternd am ganzen Leib, so sehr hatte mich dieses

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