Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Ereignis mitgenommen, versuchte ich ihn zu wecken, um ihm alles zu erzählen. Aber er hörte mir gar nicht zu. Schlaftrunken wälzte er sich zur Seite, tätschelte mich: »Schon gut, komm jetzt ins Bett, morgen ist alles vergessen.« Und ich hörte wieder seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge.
Ich fühlte mich so allein mit meinem Schrecken, brauchte Schutz, brauchte ein Polster, eine Schulter zum Ausweinen, einen, der mir zuhörte. Ich hätte ihn vielleicht wachrütteln können, ließ es dann aber sein. Und während ich realisierte, dass mein Erlebtes wohl sowieso nicht vermittelbar war durch Nacherzählung, begann es mich zu würgen, erst nur ein wenig, dann erschreckend heftig. Es war, als hätte die schwarze Nachtschönheit mich stranguliert, so sehr identifizierte ich mich mit dem Opfer. Ich hielt meinen Kopf unter kaltes Wasser und kämpfte gegen die Atemnot an, versuchte durch eine erinnerte Yogaübung in die Ruhe zu kommen, und langsam ebbte der Spuk ab.
Ich schlief in jener Nacht im kleinen Zimmer. Stockhausen war am nächsten Morgen ganz erstaunt, er hatte nichts mitbekommen. Wann ich denn nach Hause gekommen sei? Er war gut gelaunt, hatte das Formschema zu Mikrophonie I fertig notiert. Es war ein strahlender Frühlingstag, und heute würden wir in der Galerie die Ausstellung fertig hängen. Wir waren auch erleichtert, einmal wieder allein zu sein, ohne Hala im Nebenbett. Sie war eine gute Haut, so nannte Karlheinz sie, und eine großartige Freundin. Immer karrte sie Dinge herbei, die wir benötigten, und in ihrem alten Jeep fuhren wir zu so manchen Sehenswürdigkeiten oder spannenden Veranstaltungen. Dafür hatte sie ein Gespür.
Sie stammte aus polnischem Adel und war von den Russen zu Beginn des Krieges interniert worden, sie nannte das ihre Konzentrationslagerzeit. Darauf folgten abenteuerreiche Jahre in Afrika, sie war Fallschirmspringerin und diente dort in der britischen Armee, wo sie auch ihren zukünftigen Ehemann kennenlernte, den Chemiker Yorek Pietkiewicz, ebenfalls Pole. Sie bekamen ein Kind und wanderten nach Kriegsende erst nach Brasilien und dann in die USA aus. Jetzt lebte Hala mit ihrem Mann und zwei Töchtern in einem Haus in New Jersey. Sie war von ihrer Ausbildung her eigentlich Architektin, und so richtete sie sich in der oberen Etage ein geräumiges Atelier ein. Aber lieber noch war sie auf Achse und engagierte sich bei vielen Menschenrechtsorganisationen oder nahm teil an den Aktivitäten der New Yorker Künstler. Sie half mit, Kostüme für die Beatles oder die Bread-and-Puppet-Theatergruppe zu nähen, sie unterstützte Bob Wilson bei seinen Theaterexperimenten und ging beim Living Theatre ein und aus.
Hala hatte auch eine schwarze Highschool-Schülerin aus den Südstaaten bei sich aufgenommen, was selbst hier im Norden noch einen Eklat verursachte – es war ja die Zeit der Rassentrennung. Diese Schülerin war eine Schwester von Angela Davis, die in späteren Jahren als Bürgerrechtlerin der Black-Panther-Bewegung berühmt wurde. Zunächst hatte es auch in Glen Ridge, New Jersey, wo das Mädchen mit Halas gleichaltriger Tochter zur Schule gehen sollte, Widerstand gegeben. Nur dank der Begleitung durch Halas Tochter wurde ihr schließlich der Schulbesuch gestattet. Sie wurde nach zwei Jahren sogar Klassensprecherin und konnte später studieren. So kann gesellschaftliche Veränderung bewirkt werden. Das konservative, wohlhabende Städtchen Glen Ridge in New Jersey war jedenfalls aus seinem Schlaf erwacht.
Hala war es auch, die mit uns durch Harlem spazierte: »Man muss bloß Deutsch sprechen, dann besteht keine Gefahr.« Sie führte uns dort in einer Jazzkneipe ein, die Small’s Paradise hieß und wo wir manchen wunderbaren Abend erlebten. Die Schwarzen tanzten anders als wir, ihre Bewegungen schienen mir Arbeitsweisen der Sklaven nachzuahmen. Das bestätigte mir später Oliver, ein schwarzer Fremdenführer, der uns auch zu einer Ostersonntagsfeier in Harlem mitnahm, wo die Besucher herausgeputzt in die Kirche gingen und sich dort in Trance sangen und tanzten, Gott anriefen und anflehten, als wäre er per sönlich anwesend. Welch ein uns unbekannter, musikalisch ergreifender Gospelgesang! Wir waren begeistert!
Einmal erlebten wir in Harlem aber auch offene Zurückweisung. Wir saßen im Small’s Paradise und lauschten der Musik, da trat ein elegant gekleideter Schwarzer ein, sah uns und verließ, anscheinend angeekelt von unserem Anblick, das Lokal. Er gab laut Flüche von
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