Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
Vom Netzwerk:
zu schnappen. Der Fisch wurde immer kleiner, bis schließlich nur noch ein flaches, vielleicht dreißig, vierzig Zentimeter langes rotbraunes Filetstück von den meterlangen Tieren übrig blieb. Ja, nur das sei genießbar, erklärte man uns, alles andere sei Abfall. Der Appetit war uns vergangen.
    Wir suchten uns eine Bleibe für die Nacht im einzigen Hotel des Ortes. Es war dürftig. Die metzelnden Raubritter – so kamen sie uns jedenfalls vor – schliefen in ihren Luxuskajüten. Wir besorgten uns essigsaure Tonerde für unseren Sonnenbrand, der sich zusehends stärker bemerkbar machte. Doch es war mehr als ein Brand, es waren Verbrennungen, schlimme, halbzentimeterhohe Blasen, vor allem auf den Schultern. Wir konnten weder liegen noch sitzen, gingen immer wieder unter die kalte Dusche, bis auch das schmerzte. Als die Blasen sich öffneten, kam eine neue Qual dazu, jetzt juckte es auch noch. Stockhausen schrie schließlich vor Schmerz. Er verfluchte Judith und ihren Rat, hierherzufahren. Warum hatte sie uns nicht gewarnt? Doch Judith als dunkelhäutige Schönheit, bei der man schwarze Vorfahren vermutete, war sich dieses Problems vermutlich nicht bewusst gewesen.
    Unmittelbar vor Stockhausens Rückflug nach Europa waren wir zu einem Abschiedsbesuch bei Jasper Johns. Zehn Straßen südwärts von unserem Apartment hatte er, ebenfalls am Riverside Drive, eine große Penthousewohnung mit Blick über den Hudson River. Der heiße Sommer war dort auszuhalten. Es war das Jahr der großen Müllstreiks, dazu kamen wie fast alljährlich im Sommer die riots , die Unruhen in Harlem. Die schwarze Bevölkerung meuterte, randalierte, plünderte und zog oft auch südwärts bis zum Nordende des Central Park.
    In Manhattan häufte sich der Abfall auf den Straßen.Es gab Unmengen an Fliegen, Ratten und streunenden Hunden, dazu die Hitze, es war unerträglich. In den reicheren Vierteln hatten sich die Bewohner organisiert und den Müll privat abtransportieren lassen. Das erwies sich als ein lohnendes Zubrot für Lastwagenfahrer und auch für Künstler, die einen Lieferwagen besaßen. In Harlem hingegen wurde die Lage immer heikler.
    Bei Jasper hatten sich mittlerweile viele Freunde eingefunden – Billy und Olga Klüver, Robert Breer, Kicky Kogelnick, der Fotograf und Filmemacher Hans Namuth, die Künstlerinnen Lee Bontecou, der Komponist Earle Brown und andere. Jasper hatte einen Fernseher, und auf dem Schirm sahen wir nun am noch hellen Tag eine Reportage über die riots . Das Kamerateam war der schwarzen Bevölkerung willkommen, man war froh, dass sich die Aufmerksamkeit auf die Zustände in Harlem richtete. Die Kamera lenkte ihren Blick auf folgende Szene: Das Schaufenster eines Radiogeschäfts wird eingeschlagen, ein großer, starker Bursche schleppt das Prachtstück der Auslage, einen Fernseher, aus dem Laden. Auf die Frage des Reporters, was er damit machen werde und ob er ihn verkaufen wolle, antwortet er, nein, den nehme er mit nach Hause zu seinen Leuten, dann könnten sie die riots endlich im Fernsehen verfolgen.
    Erst waren wir betroffen, dann mussten alle lachen über diese Szene. Billy Klüver griff das Thema ernsthaft auf: die lokalen wie globalen Informationsmöglichkeiten, die entstehende virtuelle Welt der Medien, ihre Chancen und Gefahren. Dem Thema werde er eine Tagung widmen, vielleicht mehrere, was er dann auch bald tat, unter Mitwirkung des kanadischen Philosophen Marshall McLuhan. Dessen zentrale These, »Das Medium ist die Botschaft«, sollte uns in den kommenden Jahren sehr beschäftigen.

10
New Yorker Originale
    Nachdem Stockhausen abgereist war, verbrachte ich den restlichen Sommer 1964 im Atelier am Hudson River und vertiefte neben der Arbeit meine Freundschaft mit Bob, Jasper, den jüngeren Pop-Art-Künstlern, aber auch mit Schriftstellern der Beat-Generation wie Allen Ginsberg oder seinem Freund Osborne, die wiederum zum Umkreis von Jack Kerouac zählten. Es war On the road-Stimmung, ironisch verwendeten wir diesen Ausdruck auch für die Müllberge, die sich immer noch in den New Yorker Straßen türmten. Nur langsam – in Harlem noch langsamer – wurden sie weggekarrt. Die Müllmänner gingen wieder zur Arbeit. Ein Gesetz zur Wohnsituation in Harlem wurde zugunsten der schwarzen Bevölkerung durchgekämpft. Man begann die weißen Polizisten aus Harlem abzuziehen und stattdessen schwarze, möglichst aus dem jeweiligen Viertel stammende Beamte einzusetzen.
    In dieser Zeit schrieben Stockhausen und

Weitere Kostenlose Bücher