Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Mensch den Scheitelpunkt, die Wasserscheide zwischen beiden Polen. Er wird hineingeboren in die Welt und gestaltet dann die Natur, die er vorfindet, und bereichert sie durch seine Taten und Erfindungen, die als künstlich anzusehen sind. Suzuki war anderer Meinung: Es sei doch die Natur des Menschen, etwas zu erschaffen. Und da der Mensch Teil der Natur sei, sei eben auch alles, was er hervorbringe, Natur. So wie der Termitenbau zur Natur der Ameisen gehöre.
Stockhausen irritierte diese Sichtweise. Übersetzt in seine Musik ging es hier um die Unterscheidung zwischen Vorgefundenem und Gemachtem, zwischen Entdecktem und Erfundenem. Das eine war für ihn natürlich, das andere künstlich. Er nahm natürliche Klangquellen, wie zum Beispiel die Knabenstimmen im Gesang der Jünglinge , mit technischen Mitteln wie Mikrofon und Tonbandgerät auf und veränderte dieses Material anschließend so, dass neue künstliche Klänge entstanden. Nun sah er seine ganze Arbeitsweise in einem anderen Licht. Suzuki warf das alles in einen Topf, nannte alles natürlich. Nach seiner Theorie mussten dann auch die Lieder, die der Mensch komponiert, natürlich sein. Ebenso die Gedanken, die er denkt und ausspricht. Wir hatten einiges zu diskutieren. »Wer sich selbst treu ist, der ist auch natürlich. Künstlich ist es nur, wenn der Mensch nicht authentisch ist«, so seine Worte.
Reich beschenkt nahmen wir Abschied. Was für ein Tag! Wäre ich zuvor beleidigt nach Deutschland zurückgeflogen, hätte ich das alles nie erlebt. Dankbar, demütig dankbar besonders auch für die Ratschläge, die ich zur Erziehung meines Kindes erhalten hatte, schlief ich nachts in unserer Herberge ein. Am folgenden Tag wollte uns Aiko zu einem Besuch bei ihren Eltern mitnehmen. Das war eine große Besonderheit, denn Japaner laden Fremde ungern in ihr privates Heim ein. Aiko hatte ihren Eltern aber diese Ausnahme abgerungen. Sie wollte uns ein typisch japanisches Upperclass-Zuhause vorführen.
Ich hatte längst begriffen, dass sie keine gewöhnliche Rivalin war. Sie stammte nicht nur aus einer anderen Welt, sondern auch aus einer anderen Klasse als die meisten uns bekannten Künstler. Das war mir bereits beim Empfang in der deutschen Botschaft deutlich geworden. Aber nun war ich trotzdem überrascht und beeindruckt von der erhabenen asiatischen Kultur, die uns in ihrem Elternhaus erwartete.
Als wir ankamen, führte uns Aiko zunächst heimlich durch das Haus: An den Wänden hingen nur ganz wenige, aber umso erlesenere Kunstwerke. Alles war mit kostbaren Stoffen dekoriert. Der Garten war von paradiesischer Schönheit und Stille. Ein leise plätscherndes Bächlein durchfloss ein Bambusrohr, das sein Wasser wiederum in ein viereckiges Brunnengebilde ergoss. Dieses Wasserviereck wurde umrahmt von einem großen runden Kreis aus Stein, in dessen Segmente jeweils ein japanisches Wort eingemeißelt war: »Ich / kenne / nur /Zufriedenheit.«
Wir standen noch am Brunnen, da rief man uns zur Teezeremonie. Im eigens dafür bestimmten Gartenpavillon wurden wir nun von Aikos Eltern empfangen. Man saß auf Kissen um eine rechteckige Tafel am Boden. Ich war in Japan immer froh, mich setzen zu können, so konnte ich meine Körpergröße von einem Meter achtzig verbergen, die ja im Vergleich mit japanischen Menschen noch auffälliger war als daheim. Der Wunsch, so klein zu sein wie meine Mutter, kam hier wieder in mir hoch. Neben Stockhausen hatte ich ja schon immer stattlich gewirkt. Man nannte uns oft scherzhaft »die zwei großen Königskinder«. Nun war ich erleichtert, mit den anderen auf Augenhöhe zu sein.
Wir warteten. Es bestand keinerlei Zwang zur Konversation. Man hörte nur die Geräusche der Zeremonievorbereitung. Zwei dafür bestimmte Personen entzündeten auf Holzkohle das Feuer. Der Eisenkessel, ein großes gegossenes Gefäß, mit Schriftzeichen versehen, wurde daraufgesetzt. Wir warteten wieder. Das Wasser, bereits vorgewärmt, wurde in den Kessel gegossen, behutsam, dass kein Tropfen danebenging. Dann wurde aus einem doppelt verschlossenen Behälter, also aus einer Dose in der Dose, mit einem aus Bambus geschnittenen Löffel das grüne Teepulver genommen und in eine flache, leichte Schale gegeben. Die Helfer lüfteten den Deckel des inzwischen dampfenden Kessels und schöpften mit einer Bambuskelle das siedende Wasser in die Schale, die einer der Helfer hielt. Der andere verrührte das Pulver mit einem kleinen Quirl, der aus einem Stück Bambusrohr gefertigt
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