Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
Vom Netzwerk:
darum zu gehen schien, ob ihr Mann, ihr geliebter Mann, auch von der anderen Frau alles bekam, was er zum Leben brauchte! Gut, dass diese Lektion am Anfang unserer Reise stand, sie half mir.
    Von Aiko erfuhren wir viel über die Stellung der Frau in Japan. Frauen verdienten sich erst eine gewisse Geltung, wenn sie Mutter oder Schwiegermutter wurden. Aiko klärte uns über die strenge Hierarchie auf, die in den traditionellen Familien herrschte: Die Älteren hatten das Sagen über die Jüngeren, die Männer über die Frauen. Und sie erzählte von der Auflehnung der jungen Leute gegen diese Hierarchie. Viele junge Künstler seien ins Ausland geflüchtet, um den strengen Regeln zu entrinnen. Aiko selbst auch – ihre Familie hatte genug Geld, und so war sie für eine Weile nach New York gegangen. Schon im Flugzeug hatte sie auf der Bordtoilette den Kimono abgelegt. Er war zwar eigentlich ein herrlich praktisches Kleidungsstück, aber er stand für Tradition, also musste er weg.
    Ich dachte an die vielen japanischen Künstler in New York – an Yoko Ono, an den Performance-Künstler Shusaku Arakawa, die Fluxus-Künstlerin Takako Saito oder Paiks spätere Frau Shigeko Kubota. Allesamt waren sie Revolutionäre gewesen, die sich gelöst hatten aus diesen Traditionen und einen Neubeginn in Amerika oder Europa suchten, um sich dann dort noch radikaler als die jungen Künstler des jeweiligen Landes zu geben.
    Durch Aiko erlebten und lernten wir vieles, was gewöhnlichen Touristen verschlossen geblieben wäre. Uns fiel auf, dass die japanischen Frauen so alterslos wirkten. Aiko erklärte, dass sie die Sonne strikt mieden und sich so bis ins hohe Alter eine makellos weiße Haut erhielten, wozu allerdings auch das feuchte Klima beitrug. Falten sah man selten, weder Lach- noch Gramfalten. Fröhlichkeit oder Leid drückten sich nicht im Gesicht aus, da hatte man sich im Griff. Die Zähne durfte man auch nicht zeigen, deshalb wurde immer hinter vorgehaltener Hand gelächelt.
    Das ungefähre Alter einer Frau konnte man am besten an den Farben des Kimonos ablesen, den sie trug. Jedem Alter war eine bestimmte Farbe zugeordnet. Aus der Beschaffenheit des Kimonos ließ sich auch einiges über Familienstand und sozialen Status ablesen. Farbe und Material der »Anziehsache«, so heißt das Kleidungsstück wörtlich übersetzt, lassen erkennen, ob es sich um eine ledige, verheiratete oder verwitwete Frau handelt. Aiko belehrte mich, dass das rosa Kostüm, das ich trug, nach japanischer Tradition für mich nicht mehr passend sei, als Mutter bediente man sich anderer Farben.
    So wurde uns langsam die Lebensweise dieses Volkes vertrauter. Die Kommunikation barg jedoch immer noch einige Tücken. Auf eine Frage durfte man niemals direkt mit Nein antworten, man musste »vielleicht« sagen, wenn man »nein« meinte. Man stellte auch keine direkten Fragen, alles musste so ausgedrückt werden, dass der Befragte sich nie in die Enge gedrängt fühlen konnte. Daher rührten dann auch die unklaren Antworten. »Mögen Sie Reis?« – »Ja.« – »Oder Nudeln?« – »Ja.« Es war offenbar verzwickt, einen Wunsch oder eine Meinung herauszubekommen.
    Dieses Indirekte fiel uns schließlich auch in anderen Bereichen auf. Aiko führte uns zu dem großen buddhistischen Tempel Kiyomizu-dera, einem alten Schrein in den Bergen von Otowa-san bei Kyoto. Er war ein Nationalheiligtum, gewidmet dem Verzeihen, einer der acht Tugenden. In Japan bestehen ja mehrere religiöse Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander, wobei Buddhismus und Shint o ¯ mit ihren verschiedenen Untergruppen die größten sind. Wir pilgerten über Hunderte von Stufen durch einen lichten Bambuswald den Berg hinauf. Die Stufenkanten waren ebenfalls mit Bambus eingelassen – ein ästhetisches Meisterwerk! Irgendwann verkündete Aiko, wir seien gleich da. Doch nichts zeigte sich uns, wir konnten das Ziel nicht erkennen. Von europäischen Kulturdenkmälern, ob Kirchen oder Prachtbauten, waren wir gewohnt, dass man sie schon von Weitem erblickte, dass man sich aus der Ferne konstant auf den eigentlichen Höhepunkt zubewegte, wie etwa im Schlosspark von Versailles oder am Arc de Triomphe in Paris, wo alle Hauptlinien in einem zentralen Punkt zusammenlaufen.
    Wir wunderten uns also, dass wir gleich da sein sollten, so ganz ohne visuelle Ankündigung. Wir waren auch schon etwas erschöpft von der langen Bergbesteigung. Da gelangten wir schließlich an eine viereckige Ausweitung des Weges, ein

Weitere Kostenlose Bücher