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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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war, dessen Enden man aufgesplittert hatte. Durch das Verquirlen hatte sich das Wasser schon etwas abgekühlt.
    Nun wurde der Tee gereicht, zunächst den Gästen. Aiko hatte uns zuvor eingeweiht: Wir sollten die Schale nicht etwa einfach austrinken, nein, man nahm ehrfürchtig Schluck um Schluck und reichte dann das Getränk weiter. Wir sollten die anderen beobachten und es dann genauso machen. Es war eine heilige Zeremonie. Das Elixier, dieser unglaublich vitaminreiche Trank aus frischen grünen Teeblättern, schmeckte bitter, war unseren europäischen Gaumen zunächst fremd. Doch die darin enthaltenen Stoffe, die braucht unser Körper offenbar. Braucht unsere Seele ebenso die Bitternis? Um sich andererseits die süßen Seiten des Lebens bewusst zu machen?
    Die hilfreichen Geister verschwanden schließlich lautlos, die Schalen wurden behutsam mit Stofftüchern ausgewischt. Zum Abschied überreichte man uns Geschenkschachteln, die so kunstvoll zusammengefaltet waren, dass wir kaum wagten, sie zu öffnen. Alles war von einer derart tief in der Tradition verwurzelten Ästhetik, wie ich es nie mehr in einem anderen Land erlebt habe. Kein Einfluss der Moderne war sichtbar, so ging es seit Hunderten von Jahren: das Holzfeuer, das Wasser, die Zeremonie, ein plätschernder Brunnen und ringsumher nachwachsende Bambuswälder …
    Mehrfach wurden wir in diesen Wochen auch von Wataru Uenami, dem Chef der Musikredaktion des Tokioter Rundfunks, zu Schönheiten Japans begleitet. Er achtete uns und be wunderte unsere Ehrlichkeit miteinander. Wir waren ja auf vielen Ausflügen mit Aiko unterwegs gewesen und verheimlichten nichts. Meine anfängliche Eifersucht war wohl nur ein Zeichen meiner Unsicherheit gewesen. Uenami sagte einmal zu Stockhausen, er habe sich europäische Frauen ganz anders vorgestellt. Der entgegnete, sie seien auch anders, ich sei eben ein seltenes Exemplar.
    Uenami und Aiko führten uns gemeinsam in Tokio ein weiteres Beispiel japanischer Gartenkunst vor, und wir waren wieder überrascht von den Unterschieden zu unseren europäischen Anlagen. Es handelte sich um einen Tempel mitten in der Stadt, dessen Grundstück daher entsprechend klein war. Aber wie hatten die Japaner es nur fertiggebracht, dass man beim Blick vom Tempel aus in diesen winzigen Streifen Garten dennoch das Gefühl hatte, in einen weiten Raum zu blicken? Die Lösung lag in der perspektivischen Bepflanzung. Man hatte die großen Pflanzen direkt an die Tempelmauern gesetzt und dann bis zum hinteren Rand des Gartens die Büsche und Bäume immer kleiner werden lassen, so dass sich die zwei kleinsten Büsche am Ende fast berührten. Der Garten glich einem sich verjüngenden Pfeil. An der Spitze hockte ein kleiner Buddha vor einem winzigen Teich, in dem er sich spiegelte. Man glaubte, in eine Weite zu schauen, ein leichter Anstieg des Geländes machte die Illusion perfekt. Und Stockhausen war wieder begeistert: »Meisterhaft! Genial!«
    Die Gärten in Europa erscheinen ja meist penibel gepflegt, sozusagen frisch rasiert. Da fiel uns ein weiterer Unterschied auf: Die Japaner erinnern in ihren Gärten auch an das Sterbende, Tote, Verwesende. Hier ein bemooster Stein, da eine zerfallende Wurzel. Oder sie setzen eine Pflanze, deren Blätter erst im folgenden Sommer braun werden würden, zwischen Frühblüher, so dass sich alternierend immer eine der beiden Sorten im Absterben, die andere im Aufleben befindet. Dem Tod wird gehuldigt.
    Die nächste Attraktion, die Uenami für uns vorsah, zeigte einen sehr speziellen Aspekt japanischer Kultur: Er führte uns in ein Geishahaus, das auch ich als Frau besuchen durfte. Dort wurde uns an einer langen Tafel ein Abendessen serviert. Unsere kleine Gruppe bestand aus sechs Besuchern, und jedem war eine eigene Geisha zugeteilt, die seitlich hinter dem Gast saß und ihn umsorgte. Sie half beim Ausziehen der Schuhe, legte kleine Bissen auf den Teller, reichte alkoholische Kostbarkeiten in winzigen Gefäßen und hielt die Serviette bereit.
    Am Hauptende des Tisches befand sich eine Art Bühne, auf der nun die Geishas begannen, Gedichte zu rezitieren und in seltsam klagenden Tönen zu singen. Sie spielten verschiedene Instrumente und tanzten; alles wirkte sehr stilisiert und kontrolliert. Sicher hatte es Jahre gedauert, diese perfekte Koordination einzustudieren. Die Künstlerinnen wechselten sich ab – es waren erlesen schöne, anmutige Frauen und Mädchen. Bislang hatten wir uns unter einer Geisha eher eine Art

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