Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
du letztes Jahr bei der Japanerin auch gesagt«, stellte ich fest. Karlheinz stutzte. »Gut, dass du mich daran erinnerst.«
Auf die merkwürdige Eheschließung sollte eine kleine Hochzeitsreise folgen. Zunächst fuhren wir den berühmten 17-Mile-Drive nach Süden, immer am Pazifik entlang. Wir picknickten bei einer Seelöweninsel, lagen im Sand, es war kalifornischer Sommer, und Stockhausen schrieb ein Liebesgedicht, das später zum Zentralmotiv in seinem Werk Stimmung werden sollte. Abends standen wir vor der Wahl, in einem schlossartigen Nobelhotel oder daneben in einer einfachen Pension zu übernachten. Wir aßen zwar im Schloss zu Abend, uns schien aber die schlichte Bleibe doch angemessener, die von außen auch ganz passabel aussah. Die Zimmer innen waren jedoch sehr geschmacklos eingerichtet, mit einem kitschigen Bett und einem trostlosen Fernseher.
Als mir auch noch klar wurde, dass Stockhausen mit seinem Herzen sowieso ganz woanders war, bat ich ihn, die Reise abzubrechen. Ich wollte nicht mit ihm im Bett liegen, wenn er in Gedanken bei einer anderen Frau war. Ich schlug ihm also vor, mich nach Sausalito zurückzubringen, damit er zu Nancy, die sich in Mexiko aufhielt, fliegen konnte. Der Besuch bei Henry Miller, den wir ursprünglich vorgehabt hatten, könne warten. Glücklich und dankbar nahm er meinen Vorschlag an. Eine Woche später musste er wieder zurück sein, um seinen Unterricht an der Universität fortzuführen.
Nach seiner Abreise fand ich einen Brief, in dem er schrieb, es sei das erste Mal, dass er sich völlig frei fühle, ohne schlechtes Gewissen, ohne Heimlichtuerei und Lügen, sozusagen mit meinem Segen versehen. Ja, ich hätte recht mit meinem Anspruch der Offenheit, mit seiner bisherigen wiederholten Lügerei habe er mich zwar nur schonen wollen, andererseits aber auch unterschätzt. Er dankte mir innig.
In dieser Woche las ich das Buch über Sri Aurobindo. Es half mir, mit meinen Gefühlen zurechtzukommen. Schwanger mit meinem zweiten Kind, die ominöse Trauung, und Stockhausen liebte schon wieder eine andere Frau! Das musste ich erst einmal verkraften, bei allem Bekennen zu einer freien, sich jeweils neu zueinander entscheidenden Beziehung. Ich begann, Tag und Nacht in diesem Buch zu lesen. Ich lag dabei auf unserem Balkon mit Blick auf die San Francisco Bay in der Sonne, wurde braun, meine Haare wurden weißblond, und ich las und las. Eigentlich war ich trotz allem glücklich mit mir allein und meinem Kind im Bauch. Die Philosophie dieses Buches begann, mich zutiefst zu verwandeln. Die Kernsätze sollten mich auch künftig begleiten: Was leidet, ist nur das Ego . Führe alles, was dich stört, auf dich selbst zurück . Mir wurde immer leichter zumute. Wo hatte ich mich auf Erden bloß verlaufen? Ich kam doch aus dem Licht. Der Kosmos hielt mich doch. Ich wurde doch geliebt. Warum musste ich denn von einem Mann geliebt werden? Ich fühlte mich so aufgehoben in »Gottes Armen« wie nie zuvor, mich überkam wieder dieses fast religiöse Gefühl, das ich in jenen ersten sieben Tagen unserer innigen Vereinigung empfunden hatte.
Aurobindo war Mitglied einer Widerstandsbewegung von Studenten gewesen, die in Indien gegen die noch herrschende britische Kolonialmacht kämpfte, die Gruppe war dabei recht gewalttätig gewesen. Sein Bruder war zum Tode verurteilt worden, er selbst landete im Gefängnis. Dort hatte er erkannt, dass man nicht durch Kampf, sondern nur über den spirituellen Weg sein Ziel erreichen konnte. Das waren genau die Antworten, die ich brauchte: Du kannst nicht für etwas kämpfen. Was dir gehört, das kannst du nicht verlieren. Und was dir nicht gehört, kannst du dir nicht erstehlen. Ich erkannte so viel in diesen Tagen und war im Einklang mit mir. Fast am Ende des Buches angelangt, dachte ich eines Abends: »Karlheinz kann ruhig seine Liebe haben, er kann tun, was ihm wichtig ist, es ist alles in Ordnung.« Da ging auf einmal die Tür auf, und er kam herein.
Ich saß ganz entspannt mit dem Buch in der Hand da. Stockhausen sah mich an, stutzte, und dann liefen ihm Tränen über die Wangen. Er kniete sich zu meinen Füßen hin, legte seinen Kopf in meinen Schoß und weinte und weinte. In diesem Moment war so viel mehr Liebe zwischen uns, als wir je auf einer fröhlichen Hochzeitsreise hätten empfinden können. Er fragte: »Was ist mit dir geschehen?« Ich zeigte ihm das Buch: »Lies es, dann weißt du alles.« Nachdem wir unser Bekenntnis zu einer freien Liebesbeziehung
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