Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
war ja erst drei Monate alt, doch er bestand darauf, ich müsse ihm helfen. Meine Schwester Suse, die selbst keine Kinder bekommen konnte, freute sich wie immer, meine hüten zu können.
Stockhausens Werk Mixtur kam zur Aufführung, und als Ergebnis des Kompositionskurses fand der vierstündige Konzertabend Ensemble statt, bei dem Werke von zwölf Teilnehmern gleichzeitig gespielt wurden. Stockhausen hatte in diesem Jahr sehr viele Schüler, und ich half ihm beim Sortieren und Ausdrucken der Partituren. Die Studenten waren alle begeistert von mir und beglückwünschten ihn: »Was du für eine tolle Frau hast! Sie hilft dir bei den Partituren, sie korrigiert die Noten. So eine Frau muss man als Komponist haben, dann wird man was in der Musikwelt!« Hier war es natürlich leicht, mich so zu sehen, wo meine ganze Aufmerksamkeit Stockhausen und seinem Werk galt, nicht den Kindern und meiner Kunst.
Nachdem Darmstadt in diesem Jahr schwere Arbeit gewesen war, flogen wir gleich anschließend für vier Tage nach Sizilien, um im heißen Sand auszuruhen. Die Sonne konnten wir beide gut brauchen. Doch auch dieser Kurzurlaub wurde wieder von einem Zwischenfall am Strand gestört.
Wir waren mit dem Mietwagen gleich zu einem menschenleeren Küstenabschnitt gefahren. Die Reisetasche noch im Kofferraum, zogen wir uns aus und liefen zum Wasser. Stockhausen kletterte aber noch einmal über die kleine Düne zurück und ging zum Auto, um seine Kamera zu holen. Die Kamera vor dem Auge, kam er wieder und fotografierte mich und das Meer. Ärger überkam mich. Hatte er nicht schon Unmengen von Nacktfotos von mir im Tresor vergraben? Warum unterbrach er unser schönes Ins-Meer-Rennen? Nun hatte er auch mich aus dem Genuss des Augenblicks, des momentanen Erlebens gerissen.
Da war sie wieder, die Momentform, seine Kompositionsmethode. Immer diese Einschübe, die alles und jedes im Moment vor der Erfüllung unterbrechen, jeder Höhepunkt wird aufgeschoben durch noch ein Zwischenspiel, einen komponierten Zeitschnipsel aus Vorher oder Nachher, der den Fortlauf innehalten lässt.
Meine Irritation steigerte sich in einen der Schönheit der ganzen Situation keineswegs angemessenen Zorn. Um diesen Zorn zu kühlen, wollte ich mich in die Fluten stürzen. Aber dieser Küstenstreifen – er war uns neu – erwies sich als seicht, das Wasser war lauwarm, kaum geeignet zum Erfrischen. Nachdem ich weit hineingelaufen war und es nicht tiefer wurde, ließ ich mich einfach fallen. Da spürte ich sofort einen stechenden Schmerz in der Seite. War ich auf einen Nagel oder eine Scherbe gestoßen? Nein, es war ein stacheliger Fisch mit drei großen Zacken auf dem Rücken! Mein Zorn hatte sein Pendant gefunden, aber der Schmerz war wirklich entsetzlich.
Ich humpelte zum Strand zurück. Karlheinz rief: »Leg dich hin!« Er saugte mir gründlich die Wunde aus und spuckte das Gift des Fisches in den Sand. Dann holte er Salzwasser, mit dem er nachspülte. Als ich spürte, dass mir eine Lähmung ins Bein zog, folgte ich meinem Instinkt, stand auf und begann, humpelnd umherzugehen. Ich hatte das Bedürfnis, in Bewegung zu bleiben, um der Lähmung zu widerstehen. Karlheinz saugte und spuckte dazwischen weiter – er kannte diese Methode aus seiner Kindheit, hatte einmal beobachtet, wie ein anderes Kind nach einem Schlangenbiss auf diese Weise gerettet worden war.
Wir fuhren zurück nach Siculiana und stiegen dort in den Zug nach Agrigento, der war schneller als das Auto. Auch im Zug humpelte ich gegen die Lähmung an. In der Stadt brachte mich Stockhausen in die Notaufnahme des Krankenhauses. Die Ärzte sagten, dass sie so etwas in diesem Jahr schon einige Male erlebt hätten, immer wären Touristen vom Strand hinter Siculiana, vor Cattolica betroffen gewesen. Von dort kamen ja auch wir. Petermännchen hießen die giftigen Raubfische. Drei Leute waren in dem Jahr schon gestorben, ich hatte also großes Glück gehabt. Auf meine Frage, wieso es mich nicht schlimmer erwischt hatte, antworteten sie: »Nun, Ihr Mann hat das Gift fachgerecht herausgesaugt, und Sie haben sich bewegt. Man darf nur nicht still liegen bleiben, sonst erreicht die Lähmung schnell das Herz, und dann ist es aus, finito , basta .«
Man schnitt mir ein kleines Loch in die Hüfte, um das Gift vollständig zu entfernen, und ich bekam eine Spritze und Medikamente verabreicht. »Es muss ohne Narkose gehen«, sagte der Arzt, »betäubt sind Sie schon genug.« Nach einigen Stunden Beobachtung, in
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