Ich haette dich geliebt
plötzlich aus dem geöffneten Sarg purzelte. Sehen wollte ich ihn jetzt nicht mehr. Die Sonne schien auf mein schwarzes Kleid und wärmte mir den Rücken. Ich hatte nichts mehr gefunden, was ich hätte drunter ziehen können, also zupfte ich die ganze Zeit an meinem Ausschnitt herum.
Karl Molter stand neben mir und umklammerte meinen Arm, als ob er fürchtete, gleich hinterher zu müssen. Heidi Körber tupfte sich mit aller Vorsicht die Tränen vom Gesicht, wahrscheinlich um ihr Make-up nicht zu ruinieren.
Nachdem alles vorbei war, schüttelten mir mehrere Anwesende die Hände. Mehr als „Danke“ sagen, konnte ich nicht. Es fühlte sich nicht richtig an, bemitleidet zu werden. Jeder hier kannte ihn besser als ich selbst. Genauso war's.
„Jetzt kuckt er die Radieschen von unten an, der Louis. Ich bin immer noch ein bisschen sauer auf ihn. Dass er mir nix von dir erzählt hat, der Schlawiner. Er wird seine Gründe gehabt haben. Ich will ja nicht zu neugierig sein. Ich hab ja gesagt, ich misch mich nicht in das Leben anderer ein, aber ich würde zu gern wissen, wie deine Mutter war. Wer sie war, dass sie ihm zeitlebens den Kopf so verdreht hat.“
Karl schaute mich erwartungsvoll an. Man konnte ihm diese Frage nicht anders, als beantworten. Ich tat mein Bestes und beschrieb meine Mutter aus der Erinnerung. Ich erzählte ihm von ihrem lauten Lachen, ihrer köstlichen Linsensuppe, ihrem geraden Gang und ihren unglaublich schönen Haaren.
Karl war jetzt der einzige Mensch, der im Entferntesten eine Beziehung zu meiner Mutter hatte. Und zu Louis. Beide hatten wir einen der beiden mehr als gut gekannt. Und beide wussten wir nicht, was vorgefallen sein konnte, sodass sich Louis und Marlene für immer getrennt hatten.
„Das klingt nach einer Frau für Louis. Eine lustige, bodenständige – ohne Allüren. Und so hübsch, nicht wahr? Kein Wunder, dass er da nicht drüber weg ist.“
Karl umarmte mich und verabschiedete sich. Er hatte eine leichte Fahne und wollte sein Mittagsschläfchen nachholen. Ich hätte ihm gern noch etwas gesagt. Dass er sich bei seinen Kindern melden soll. Es zumindest versuchen. Es sei nie zu spät für eine Versöhnung. Aber was wusste ich schon? Vielleicht war gerade ich eine schlechte Beraterin in Familienangelegenheiten.
Nachdem Heidi Körber sich dramatisch von mir verabschiedet hatte, stöckelte sie zu ihrem schwarzen Benz. Ein eleganter Mann hielt ihr die Tür auf. Sie tätschelte seinen Arm. Was Louis mit dieser Frau gewollt hatte, konnte ich nicht verstehen.
Frau Damter gab mir den Schlüssel zu Louis' Wohnung und sagte mir, dass es Zeit war, sich zu entscheiden, ob ich doch noch etwas haben wollte. Die Caritas stand in den Startlöchern. Schon morgen sollte alles Brauchbare abgeholt werden.
--Alles gut überstanden. Hol Dich abends wieder ab.--
Ich wollte meine neue Freundin am Abend unbedingt sehen. Es mochte seltsam sein, aber ich vermisste sie. Ich hatte noch nie jemanden wie sie getroffen. Ihre Art, wie sie über sich lachen konnte, amüsierte mich. Sie nahm das Leben gerade ernst genug, um auch traurig sein zu können. Sie nahm meine Worte auf, drehte sie um und spuckte sie wieder aus. Und ich verstand, was sie meinte.
Ich hatte nie eine Freudin gehabt. Schon gar keine Beste. Jemanden zum Um-die-Häuser-ziehen und zum gemeinsam älter Werden. Von Willy mal abgesehen. Ich hatte immer das Gefühl, mich bemühen zu müssen. Um Konversation. Um Spaß. Ich konnte mich von außen beobachten, wie ich da saß und eigentlich gar nicht ich war, sondern jemand, der sich so gut wie möglich an sein Gegenüber anpasste. So kam es, dass ich immer passiver wurde und mir die Geschichten meiner potenziellen Freundinnen anhörte. Dabei war ich zu Tode gelangweilt. Es interessierte mich nicht, welchen Jungen sie gerade anhimmelten oder warum sie unbedingt bei dieser oder jenen Party eingeladen werden wollten.
Ich fragte höflich nach und sagte an passenden Stellen irgendwas Belangloses. Meistens war ich nach kurzer Zeit so überdrüssig, dass ich mich rar machte. Ich versteckte mich regelrecht. Das hielt ich so lange durch, bis auch die anderen das Interesse verloren. Was mich verwirrte, war die Hartnäckigkeit, mit der sie an mir dran blieben. Sie mussten doch genauso gespürt haben, dass da nichts war, was es galt zu vertiefen. Diese Selbstverständlichkeit mit Luise war mir neu. In ihrer Nähe war ich wunderbarerweise ganz bei mir.
Die vielen Menschen bei der Beerdigung hatten mich
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