Ich haette dich geliebt
musste kurz überlegen, wovon die Damter sprach, bis ich sah, was sie meinte. Den schlichten Sarg, der in seinem hellen unbehandelten Holz aussah, als hätte man ihn bei IKEA bestellt und in aller Eile zusammengebaut.
„Ich habe alles mit dem Pastor besprochen. Er hält eine kurze Predigt. Ohne Tamtam. Louis war ja nicht religiös. Einen Leichenschmaus wird es auch nicht geben. All das wollte er nicht. Verstehen Sie?“
Ich nickte. Mir war kalt in der Kirche mit dem dünnen Kleid. Unpassenderweise piepte mein Handy.
-- Ich denk an Dich. Brauchst Du einen Seelentröster? Call me, Luise.--
Frau Damter zeigte mir ihr unverwüstliches Lächeln und ging zu den Blumenkränzen. Jemand tippte an meine Schulter. Es war Karl Molter.
„Junge Frau, mein Beileid. Schade, dass du ihn nicht kennengelernt hast. So ein feiner Kerl, der Louis.“
Als ich den kleinen faltigen Mann in seinem viel zu großen Anzug und mit Tränen in den Augen vor mir stehen sah, war mir auch zum Heulen.
„Eigentlich muss ich Ihnen mein Beileid aussprechen. Sie waren ja fast Brüder.“
Ich hatte vergessen, dass wir uns duzen.
„Ach was, ja schon, aber du bist seine Tochter. Ob du willst oder nicht. Er hat einen Teil von sich verschenkt. An dich.“
Karl Molter kullerte eine Träne über seine verschrumpelte Wange. Er versuchte sie erst gar nicht wegzuwischen.
„Haben Sie ... hast du Kinder?“
„Ja, meine Liebe, die habe ich. Nur wollen die nichts von ihrem alten Herrn wissen. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Hab gesoffen wie ein Loch. Sie hassen mich.“
Ich berührte ihn am Arm. Er sah so verloren aus ... und unglücklich, als er das sagte.
„Jeder hat seine Fehler.“
Mehr als diese Plattitüde fiel mir nicht ein.
„Nun ja, Kinder sind wie kleine Elefanten. Sie vergessen nicht so schnell. Ich hab mich nicht gekümmert. So sieht's aus. Und jetzt bin ich ein alter Sack und kann daran nichts mehr ändern. Das sind doch schon Erwachsene. Zu spät.“
Karls Augen füllten sich wieder mit Tränen. Auch wenn es ungerecht war, konnte ich in diesem Moment nicht verstehen, wie man diesem kleinen alten Mann nicht alles wieder verzeihen konnte.
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Heidi Körber gekommen war. Am Eingang der Kirche bekreuzigte sie sich. Sie sah aus wie ein Filmstar. Schwarzes Kostüm und Netzstrümpfe. High Heels. Das Beste aber war der Hut im Stil der Zwanziger Jahre. Er war keck auf dem blonden Haar befestigt und ließ ein kleines Netz vor dem Gesicht hängen. Den Mund hatte sie sich knallrot angemalt. Als sie mich erblickte, lief sie mit gesenktem Kopf auf mich zu. Dann nahm sie meine Rechte in ihre behandschuhten Hände.
„Clara, ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen. Er hat versucht, ein gutes Leben zu führen. Es ist ein schwerer Tag für uns alle.“
Für Karl hatte sie nur ein abfälliges Nicken übrig. Doch als sie sah, dass er geweint hatte, fasste sie ihn kurz an die Schulter und drückte leicht zu.
Nach und nach füllte sich die Kirche zur Hälfte. Bis auf Karl, Heidi und Frau Damter kannte ich niemanden. Schwer zu sagen, wer all die Leute waren. Aber in kleinen Städtchen wie diesen waren Beerdigungen ja so etwas wie gesellschaftliche Events. Auch bei der Beerdigung meiner Mutter waren viele Leute gekommen, die ich nur vom Sehen kannte und die definitiv nicht mit meiner Mutter befreundet waren.
Die Predigt wurde wirklich kurz gehalten, und ich saß da wie versteinert. Die Leute starrten mich an, als erwarteten sie eine Reaktion. Einen Nervenzusammenbruch vielleicht. Doch davon war ich weit entfernt. Der Gedanke, wie deutlich einem der Tod anderer die Endlichkeit des eigenen Seins vor Augen führte, beschäftigte mich. Das war es, worüber ich nachdachte. Dass ich irgendwann auch unter der Erde liegen würde und ich schlicht und einfach nicht mehr da sein würde. Kein Atemzug mehr, keine Wut, keine Angst, keine Freude, nie mehr frieren, lachen, schwitzen, staunen. Einmal sterben, und alles war vorbei.
Jetzt lag Louis Kampen da. Ich glaubte ihn fast zu kennen, jetzt da ich seinen Brief las. Aber ich trauerte weniger um ihn, als um meine Mutter. Hier in der Kirche wurde mir wieder bewusst, wie schmerzlich ihre Abwesenheit war.
Es roch so penetrant nach ausgeblasenen Kerzen und Weihrauch, dass ich froh war, wieder an die frische Luft zu kommen.
Der kleine Trauerzug bewegte sich Richtung Friedhof. Der Sarg wurde hinabgelassen, und ich hatte Angst, dass etwas schief ging und Louis Kampen
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