Ich haette dich geliebt
nervös gemacht. Ich wollte allein sein und ging in meine Pension zurück. Die Sonne schien in mein Zimmer, doch das hielt mich nicht davon ab, den Brief weiterzulesen.
Heute geht es mir sehr schlecht. Ich musste schon kotzen. Entschuldige den Ausdruck, aber das verdient keinen harmloseren Begriff. Nicht mal auf das Klo hab ich es geschafft. Johanna musste mir einen Eimer holen. Selbst sie schien ein wenig besorgt. Kann sein, ich hab mir das eingebildet. Und schwindelig ist mir. Furchtbar.
Ich muss immer wieder aufhören zu schreiben. Aber das siehst Du ja nicht.
Weißt Du eigentlich, dass nach Deiner Mutter niemand mehr kam. Ist das nicht verrückt? Ein junger gesunder Romeo wartet auf sein Ende, ohne seine Jugend noch auszunutzen. Das Leben war vorbei. Ja, das klingt armselig. Zeit heilt alle Wunden und so. Aber wer weiß das eigentlich so genau? Ich meine, dass die Zeit ALLE Wunden heilt? Kann das belegt werden? Die Leute haben immer allerhand kluge Sprüche parat, Clara. Das meiste kannst Du vergessen!
Ganz stimmt es nicht. Mit den Frauen, meine ich. Vor ein paar Jahren lernte ich eine kennen.
Ich habe mir gedacht: Louis, jetzt reiß dich zusammen. Das ist jetzt vielleicht deine letzte Chance. Greif zu. Eine hübsche Frau will mit Dir zusammen sein. Jedenfalls waren wir eine Zeit lang zusammen. Es muss die Hölle für die Arme gewesen sein. Ich suchte in jeder ihrer Bewegungen die von Marlene. Jeder Satz wurde zerpflückt in meinen Gedanken, auf der Suche nach Marlenes Stimme.
Sie konnte dem natürlich nicht gerecht werden und wurde zänkisch. Das passte mir dann noch besser in den Kram. Als sie dann trotzdem mit mir zusammenziehen wollte, begann ich, sie regelrecht zu verachten. Ich glaube, ich habe sie die ganze Zeit wie einen Käfer unterm Mikroskop angestarrt. Das kann kein Mensch aushalten. Sie floh irgendwann von selbst, und ich fühlte mich erleichtert. Sie tat mir leid, wie sie so dasaß, in der Hoffnung, doch noch von mir geliebt zu werden. Und ich – einsilbig und manchmal tagelang missmutig.
Danach beschloss ich, es ein für allemal sein zu lassen. Marlene stand auf einem Sockel, das gebe ich zu. Aber stand sie da nicht zu Recht? Was, wenn zu jedem Menschen eben nur einer passt?
Deine Mutter hatte auch Fehler. Klar. Mein Gott, konnte die nachtragend sein! Einmal vergaß ich ihren Geburtstag. Frag mich nicht, wie das passiert ist, aber es war so. Ich hatte es schlicht vergessen. Als ich am Nachmittag bei ihr im Radverleih auftauchte, ohne ein einziges Wort der Huldigung, wurde sie schnippisch. Anstatt zu sagen, was los war, machte sie auf beleidigte Leberwurst.
Natürlich fiel es mir sofort ein, als ich auf den Kalender im Schuppen schaute. Es war der dritte September. Meine Bemühungen, es wieder gut zu machen, schlugen fehl. Eine ganze Woche lang war sie distanziert. Ein Jahr später an ihrem Geburtstag konnte sie sich spitze Bemerkungen nicht verkneifen, obwohl ich einen Wahnsinns-Aufwand für sie betrieb.
Das Komische war: Es nervte mich nicht im geringsten. Sie konnte machen, was sie wollte, ich fand alles interessant an ihr. Sie war wütend. Und ich? Ich beobachtete ohne Unterlass ihre zusammengekniffenen Augen. Sie war traurig. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an ihren hängenden Mundwinkeln. So war das.
Nach und nach verbrachten wir immer mehr Zeit miteinander. Am Wochenende fuhr ich so gut wie nie mehr nach Hause. Mein Vater hoffte auf ein Mädchen, und meine Mutter war beleidigt, weil ich sie kaum noch besuchte. Mir ging die Heimlichtuerei so langsam gehörig auf den Wecker. Am liebsten hätte ich mir Marlene geschnappt und sie meinen Eltern vorgestellt. Aber ich wusste ja, dass Marlene das überhaupt nicht gewollt hatte.
Als meine Eltern immer unruhiger wurden, musste ich mir etwas überlegen. Marlene schlug mir vor, ein Mädchen aus dem Wohnheim mitzunehmen und als meine Freundin vorzustellen. Anfangs fand ich die Idee absurd, aber dann dachte ich auch, dass es besser so wäre. Meine Eltern konnten unnachgiebig sein.
Ich fragte ein Mädchen aus der Bank, die auch in Ausbildung war. Ich wusste, dass sie ein bisschen in mich verliebt war. Ich erzählte ihr, dass meine Eltern sich Sorgen machten, wenn ich hier so allein war, und dass es besser für ihr Gefühl wäre, ich hätte jemanden an meiner Seite. Na, mehr brauchte ich nicht. Sie sagte zu.
Ich weiß, das war falsch, und es zog ein Unglück nach sich. Das habe ich damals verkannt.
Es ging nur um einen Tagesausflug zu
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