Ich hatte sie alle
unkonventionell – meine Kollegen leider nicht.
Also entschloss ich mich nach alter Gewohnheit zur dümmsten Variante: Ich restaurierte die roten Stinker. Nach einem Bad in Seifenlauge rochen sie erstaunlicherweise noch fast genauso streng wie vorher, waren allerdings von innen nur schwer zu trocknen. Durch das Fönen nahmen sie ihren vertrauten Geruch wieder vollständig an. Ich rückte ihnen mit billigem Parfüm auf den Leib. Das endlich half. Sie rochen nach einem russischen Puff am ersten Weihnachtstag.
Um halb sechs war ich so fertig mit den Nerven, dass ich die Aussicht auf eine Gruppentherapiestunde sehr tröstlich fand. Offensichtlich war ich wirklich schwergestört und hatte Probleme mit meiner Umwelt. Oder würde ich sonst stundenlang an ekeligen Fünf-Euro-Schlappen herumdoktern, die ich eigentlich wegwerfen wollte? Ich schlüpfte also in die Stinker und glitschte zur Praxis.
Meine Ärztin begrüßte mich freudestrahlend, und als ich wortlos auf meinen Fuß deutete, um ihr die Schwere meiner Verletzung zu demonstrieren, sagte sie nur: »Ja, Sie hüpfen ja schon wieder herum wie eine junge Gemse. Man fühlt sich ja gleich ganz anders, wenn man mal einen neuen Duft ausprobiert, nicht?«
Das Dumme an Psychologen ist, dass man nie so genau weiß, ob sie einen hochnehmen wollen oder es ernst meinen.
Ich grinste blöde.
Sie grinste blöder und klatschte in die Hände: »Ja, dann kann es ja jetzt losgehen. Die anderen sind schon alle da!«
Dann schob sie mich sachte, aber bestimmt in den Gruppenraum.
Nach meiner Erfahrung haben Gruppentherapien viel mit Kasperle-Theater gemeinsam. Nicht nur bei den abzuhandelnden Themenkomplexen, sondern auch beim Casting wird darauf geachtet, dass immer dieselben bekannten Figuren auftauchen. Statt des Seppls gibt es den Softie, der mit Frauen nicht zurechtkommt, statt des Krokodils den Choleriker, mit dem die Frauen nicht zurecht kommen, und statt des Mariechens ein schüchternes Pflänzchen, das mit sich alsFrau nicht zurechtkommt. Nur die Großmutter ist eine echte Großmutter, die allerdings ein selbst gemaltes Seidenhalstuch trägt und irrigerweise annimmt, sie käme total gut mit jungen Frauen zurecht.
Und weil meine Therapeutin richtigerweise festgestellt hatte, dass sie auch alle da sind, konnte es also losgehen. Ich saß zwischen Mariechen und Seppl. Keine schlechte Ausgangsposition. Natürlich beging ich den einzig wirklich großen Fehler, den man bei einer Gruppentherapie begehen kann: Ich fühlte mich plötzlich ganz gut. Ich nahm an, die Einäugige unter den Blinden zu sein. Ich fing an, mich vollkommen zu entspannen, und die roten Stinker taten dasselbe. Sie wechselten langsam ihr Aroma von Russisch-Puff wieder zurück zu Gorgonzola-Muff.
Mariechen rückte ans andere Ende ihrer Stuhlkante, und ich konnte Seppls Gedanken durch seine weit aufgerissenen Augen sehen: »Das Teufelsweib will seine Duftnote hier absondern und mich hormonell fertigmachen. Ich wusste es.«
Unsere Therapeutin teilte bunte Wachsmalstiftchen aus, und jeder sollte seinen Namen auf ein Stück Pappe malen. Keine besonderen Vorkommnisse an dieser Stelle. Manchmal flippt schon dabei der eine oder andere aus, weil er seinen Namen hasst, aber wir brachten die erste Aufgabe ganz lässig über die Bühne.
»Wenn Sie wollen, können Sie auch kleine Blumenranken oder sonstige Verzierungen dazu malen, ganz so, wie es Ihnen gefällt …«, zirpte Frau Doktor.
Dieser Psychotrick ist so ungefähr das Billigste, wasauf dem Markt erhältlich ist. Der Blumenranken-Trick dient einzig und allein der Einteilung in zwei Gruppen. Die Rankenmaler sind die Lämmer, die anderen die Böcke. Es passiert äußerst selten, dass jemand irgendeine andere Verzierung statt wie befohlen Blumenranken malt oder, aus vermeintlicher Selbstbestimmung heraus, seinen Namen so nüchtern und schnörkellos wie möglich aufschreibt, damit man ja nicht denkt, er würde sich von anderen zu irgendetwas überreden lassen, was er nicht will.
Also malte ich einen Nymphensittich unter meinen Namen, weil ich den am besten malen kann. Wie vorhergesehen, hatten sich das Krokodil und der Oberwachtmeister für die nüchterne Form entschieden, und Seppl hatte seine Blümchen schön bunt gemalt und hieß tatsächlich, nein, nicht Seppl, sondern Malte.
»Interessant«, log die Therapeutin unverblümt.
»Jetzt möchte ich, dass jeder kurz erzählt, was er mit seinem Namen verbindet und warum oder auch warum nicht er ihn so verziert
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