Ich, Heinrich VIII.
eigenem Territorium, bewirten. Auf beiden Seiten waren eigens dazu Städte errichtet worden – nicht für die Dauer und so prachtvoll, wie eine Stadt es nur sein kann, wenn es auf Dauerhaftigkeit nicht ankommt: Es gab dort Paläste aus Papiermaché, mit Seide ausgekleideten Banketthallen und Leitungen, die roten und weißen Wein für die Zuschauer spendeten.
Jetzt nahmen wir Kurs auf den Hafen, den großen, umschlossenen Hafen von Calais. Ich konnte schon die Menschen erkennen, die oben auf den Landungsbrücken standen und heftig winkten.
Will:
Während alledem wuchs ich auf. Als Katharinas letzte Schwangerschaft zu Ende ging und Bessie ihren Bankert zur Welt brachte, war ich fast erwachsen, bereit, meinen Weg in der Welt zu machen, wie es Generationen von Achtzehnjährigen vor mir getan hatten. Mein Vater hatte mich zu einem Händler am Wollmarkt zu Calais in die Lehre gegeben – ein lukrativer Standort, auf halbem Wege zwischen England, das Rohwolle lieferte, und Flandern, wo feine Wollstoffe hergestellt wurden. Nicht, dass er mich brennend interessiert hätte, aber der Wollhandel behagte mir doch besser als Vaters schmierige Welt der Färber und Gerber, und so bildete ich mir ein, ich sei zufrieden.
Ich lebte in Calais, einer seltsamen Stadt; hier wohnten Franzosen, Engländer und Flamen, die aber alle nur eines im Sinn hatten: Geschäfte. Neben einem Dukaten bedeutete Nationalstolz ihnen wenig. Als die französisch-englische entente cordiale ausgerufen wurde, sprach man in den Tavernen nicht über die Aussichten für den Frieden, sondern über die Aussichten für den Profit. Jedermann sah großen Profit in dem bevorstehenden Treffen.
Der König und sein Hofstaat mussten zwangsläufig in Calais landen und Quartier beziehen. Das an sich war schon etwas wert, wie alle Händler in genüsslicher Übereinstimmung meinten. Freilich, sie würden dann in die Märchenschlösser aus Holz und Papiermaché umziehen, die aus dem Boden gestampft werden sollten, aber allein der Bau dieser Paläste erforderte ja schon, dass Materialien und Lebensmittel aus der Umgebung angeliefert würden.
Die Prophezeiungen erwiesen sich als zutreffend. Der Bau des »zeitweiligen« Palastes und der Banketthalle begann mehrere Monate im Voraus, und mindestens zweitausend Arbeiter waren dabei beschäftigt – Maurer, Zimmerleute, Glaser, Maler –, die alle von der Stadt mit Werkzeug ausgestattet und mit Essen versorgt werden mussten.
Zu jener Zeit arbeitete ich sechs Tage in der Woche für meinen Herrn, wog seine einkommende Wolle und trug seine Profite in die Tabellen ein; sonntags aber hatte ich frei, und so spazierte ich zu dem Gelände, wo der »zeitweilige« Palast erbaut wurde. Nicht, dass es ein weiter Weg gewesen wäre: Von Calais bis Guines waren es nur fünf Meilen. (Überhaupt reichte der Bezirk Calais, wo er am tiefsten war, nur zwölf Meilen weit ins französische Festland hinein.)
Der Bauplatz war leicht gefunden; man hatte große Massen von Erde bewegt, und allenthalben waren Scharen von Bauarbeitern zu sehen. Ich fand einen von ihnen bei der Rast unter einem schattigen Baum, wo er seine Brotzeit zu sich nahm.
»Wenn es in diesem Ding, das ihr hier baut, nur Quartier für drei Personen gibt – für den König, die Königin und den Kardinal«, sagte ich, »wo soll dann der übrige Hofstaat untergebracht werden?«
»Das war ein Problem«, antwortete er, erpicht auf einen Schwatz. »Am Ende beschloss man, eine Stadt von Zelten zu errichten. Vierhundert Stück kommen dort auf dieses Feld.« Er deutete nach Calais hinüber, »’s wird ein schöner Anblick sein«, meinte er. »All die Wimpel.«
»Und wo wirst du sein? Wirst du es auch sehen?«
»Das werde ich nicht dürfen«, erklärte er stolz. »Es ziemt sich nicht für mich, dabei zu sein.«
»Und wenn du hier fertig bist …?«
»Dann arbeite ich mit der Schaufel. Der Hügel dort wird abgetragen. Seht Ihr, der französische König und der englische müssen sich genau in der Mitte zwischen Guines und Ardres treffen, und dort in der Mitte steht dieser Hügel im Weg. Deshalb muss er woandershin.«
»Und wenn nun die Könige stattdessen woanders hingingen?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen. Ich war jung, das darf man nicht vergessen.
»Die Könige woandershin?« Er sah mich verdutzt an.
Ich fühlte eine raue Hand auf meiner Schulter, und als ich mich umsah, schaute ich in das erzürnte Gesicht des Baumeisters. Er gab mir einen Stoß. »Hör auf, mit meinen
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