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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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gestern kam ein Brief, in dem man mich bittet, auch für den Treffpunkt in Frankreich die nötigen Vorkehrungen zu treffen.« Er reichte mir den Brief.
    Was für ein seltsamer Kerl war dieser Franz doch!
    »Dann tut es.« Die ganze Angelegenheit war allmählich außer Rand und Band geraten. Eine schlichte Begegnung zwischen uns beiden hatte sich zu einer Affäre aufgebläht, bei welcher der gesamte englische Hof mit dem gesamten französischen Hof zusammentreffen würde. So etwas war noch nie geschehen, weder in alten Zeiten noch heutzutage. Meine Höflinge waren ob dieser Idee teils von wilder Begeisterung erfüllt, teils auch zeigten sie sich abweisend. Gleichgültig war es keinem. Wolsey war einer von den Begeisterten.
    »Ich nehme an, da Leonardo da Vinci gestorben ist und Franz seine Dienste für den Entwurf der Zelte nicht, wie gehofft, hat in Anspruch nehmen können …« Wolsey unternahm den Versuch, eine bescheidene Miene zu zeigen.
    »Er hat sich für die zweitbeste Möglichkeit entschieden«, versicherte ich ihm.
    Ausnahmsweise schien Wolsey keinen Sarkasmus zu vermuten. »Ich gedenke mein Bestes für ihn zu tun.«
    Plötzlich fiel mir etwas ein, das mir großes Vergnügen bereitete: Es hieß, Franz habe ein unbedeutendes Gemälde von Leonardo gekauft, nur um ihn günstig zu stimmen und nach Frankreich zu locken. Ha! Jetzt hatte er kein Geld und keinen Leonardo, und er saß auf dem düsteren Bildnis des halbwegs lächelnden Weibes, das nach jedermanns Auffassung hässlich war.
    »Und ich trage das Zeichen meiner guten Absicht im Antlitz«, stellte ich fest und befingerte dabei meinen neuen Bart. Franz hatte vorgeschlagen, wir sollten uns bis zu unserem Zusammentreffen zum Beweis unseres Vertrauens nicht mehr rasieren. Ich war nicht sicher, dass ich mir mit Bart gefiel. Auf jeden Fall veränderte er mein Gesicht.
    Will:
    Katharina, wie sich zeigte, hasste den Bart, und sie flehte ihn an, sich zu rasieren, »ihr zuliebe«. Immer noch bemüht, ihr jede Aufregung zu ersparen, immer noch halb auf einen Erben hoffend, gab Heinrich nach und nahm den Bart ab. Dies führte zu einer diplomatischen Krise, denn Franz nahm daran Anstoß, und Heinrichs Gesandte mussten ihm die Umstände erläutern. Franz’ »liebe Mutter« Louise beeilte sich, zu versichern, dass die »Liebe der Männer sich nicht in ihren Bärten, sondern in ihren Herzen« zeige, und der Zwischenfall war bereinigt.
    Hernach, mit einiger Verspätung, ließ Heinrich sich den Bart kurz vor seiner Abreise wieder wachsen. So war er nicht so lang, dass Katharina Anstoß hätte nehmen können, aber doch lang genug, dass er als Zeichen des guten Willens gegen Franz gelten konnte. Mit derart gewichtigen Erwägungen müssen sich Diplomaten beschäftigen.
    Heinrich VIII.:
    Juni 1520. Ich stand auf dem Kastelldeck der Great Harry im günstigsten Wind, den Gott je einem Sterblichen gesandt hatte. Wir glitten über den Kanal – nein, wir flogen. Die großen Segel, so bemalt, dass sie aussahen wie Brokat (trompe l’œil, sagen die Franzosen – oh, sie haben ein Wort für alles!), blähten sich und taten ihre Pflicht. Wir waren auf dem Weg nach Calais, um die große Begegnung zwischen dem englischen und dem französischen Hof Wirklichkeit werden zu lassen. Es hatte sich noch alles gefügt, trotz der tiefen Vorbehalte auf beiden Seiten.
    Nicht zuletzt – vielleicht vor allem? – Katharina, die nun die Stufen zum Vorderkastell heraufkam und an meine Seite trat. Ich bemerkte, wie langsam, wie schmerzlich ihre Bewegungen waren; eine Arthritis ließ ihr seit zwei Jahren das Treppensteigen schwer werden.
    »Schau nur, sieh! Dort ist Calais!« Ich hatte es auch erst einmal gesehen, aber ich zeigte es ihr mit dem Behagen der Autorität.
    Vor uns lag Frankreich mit seiner hügeligen Küste und den prächtigen Landungsufern. Hinter uns, gleichermaßen sichtbar ragten die hohen weißen Klippen von England.
    »Es sieht so harmlos aus«, sagte sie.
    »Es ist harmlos. Denn das Land, das du siehst, ist England: der Bezirk Calais.«
    Wie kam es, dass sogar meine Frau, die Königin, vergaß, dass ich König auch über einen Teil von Frankreich war?
    Die Pläne waren bis in die letzten Einzelheiten vervollkommnet worden. Ich und mein gesamtes Gefolge sollten im Bezirk Calais an Land gehen, und dann würden Franz und ich sowie beider Hofstaat an der Grenze zwischen den beiden Herrschaftsbereichen zusammentreffen. Später sollte ein jeder den anderen in seinem eigenen Land, auf

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