Ich, Heinrich VIII.
Arbeitern zu schwätzen!« Jäh tat er einen Schritt nach vorn und packte den Mann bei der Schulter. »Wonach hat er dich gefragt? Nach Maßen, Entwürfen, Geheimnissen?«
»Er hat nach dem Hügel gefragt«, antwortete der Mann langsam.
»Verfluchter Franzose!« Der Baumeister sah sich mit wildem Blick um, ob er nichts fände, um es nach mir zu werfen, und er bemächtigte sich eines großen Lehmklumpens, den er zu mir herüberschleuderte. »Geh und sag Franz, er kann nicht darauf hoffen, uns zu übertreffen! Geh und sag das deinem Herrn!«
Ich würde hier nicht mehr erfahren, und ich hatte auch genug gesehen. Ich ging und wanderte weiter in Richtung Ardres, der ersten Stadt außerhalb des Bezirks von Calais. Von einer Anhöhe aus sah ich, wie ein ebensolches Heer von Arbeitern wie das vorige mit der Errichtung ganz ähnlicher Bauten für den französischen König beschäftigt war. Ich knüpfte mein Tuch auf, nahm Brot und Käse und einen weichen Apfel vom vorigen Jahr heraus und fing an zu essen. Dabei hob ich an, über sie zu lachen, doch aus irgendeinem Grunde gelang es mir nicht recht. Als Kind hatte ich mir gelobt, mir alle meine Fragen stets zu beantworten und vor mir selbst niemals etwas zu verheimlichen. Sind sie nicht töricht? Sind sie nicht einfältig? Der französische König wird kommen, und der englische König wird kommen, und dann werden sie wieder gehen. In zehn Jahren werden sie sich nicht einmal mehr an das Glas in den Palastfenstern erinnern. Aber weshalb sollte ich mir darüber den Kopf zerbrechen?
Weil es Verschwendung ist, gab ich mir zur Antwort. Und weil niemand glücklich darüber sein sollte, einem anderen zu dienen, ohne jemals auf Anerkennung hoffen zu können. Weil alles nur eine Zeit lang Bestand hat, und weil diese Erinnerung an die Flüchtigkeit aller Dinge mich betrübt.
Ein Hufschmied in meinem Heimatdorf, der in dem Rufe stand, ein Dummkopf zu sein, hatte einmal darüber spekuliert, weshalb die Stute meines Vaters so unverhofft ein neues Eisen verloren hatte. (Ich hatte den Auftrag gehabt, darüber Beschwerde zu führen, da Vater nachlässige Arbeit vermutete.) »Nun ja«, hatte der Schmied langsam gesagt, »einen Grund gibt’s immer. Und dann gibt’s noch den eigentlichen Grund.«
Ich fand viele Gründe für meine Verdrossenheit und Empörung über den Bau der königlichen Enklaven. Aber der eigentliche Grund war: Ich wollte auch dabei sein, und das durfte ich nicht.
Es hieße alles zu versimpeln, wenn man behaupten wollte, dass ich an diesem Tag begann, mich von solchen Dingen zu lösen; aber gewiss fing ich an, ein wenig Distanz zwischen mich und diese Welt zu bringen. Jeder möchte gern das Gefühl haben, in irgendeiner unbedeutenden Hinsicht etwas Besonderes zu sein, und so sah ich mich gern als erhabenen Beobachter, der auf einer Mauer saß und die Parade menschlicher Torheit – bei Majestäten wie beim gemeinen Volk – unter sich vorüberziehen sah. Am Ende war ich davon überzeugt, dass ich mir diese Haltung aus freien Stücken erwählt hätte.
Im Juni war der Tag da. Der König kam, und wir mussten ihn begrüßen – alle bis auf den letzten Einwohner von Calais.
Ich war im Hafen, wie mein Herr es mir befohlen hatte. Gehorsam hatte ich ihm geholfen, den Laden aufzuräumen und geziemend mit Girlanden in den grün-weißen Farben der Tudors, mit Flaggen und mit Spruchbändern zur Feier des königlichen Besuches zu schmücken. Drei Tage lang waren Straßenkehrer damit befasst gewesen, die Hauptstraßen von Müll und Abfällen zu reinigen (man hoffte nur, der König werde nicht darauf verfallen, etwa irgendwelche Nebenstraßen zu begehen). Die Bevölkerung brannte darauf, den König wieder und seine Königin zum ersten Mal zu sehen. Tief im Herzen aller glomm die (vergebliche) Hoffnung, die freundschaftliche Begegnung zwischen dem französischen und dem englischen König werde dem eigentümlichen Status der Stadt Calais ein Ende machen und die Widersprüchlichkeiten in unserem Alltagsleben verschwinden lassen.
Heinrichs Schiff lief in den Hafen ein – eine mächtige Festung mit goldenen Segeln. Alle glotzten wir es an. Eine Schar Seeleute und Hafenarbeiter vertäute es. Dann erschien der König an Deck.
Es war das dritte Mal, dass ich ihn zu Gesicht bekam. Zweimal hatte ich ihn schon gesehen: einmal, als er von seinem Frankreich-Feldzug zurückgekehrt war, und davor bei seinem Ritt zum Tower.
Er ist nicht mehr derselbe, war mein erster Gedanke. Die Gestalt an
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