Ich, Heinrich VIII.
deine wahre Natur erkannte und für sich auszunutzen verstand.
Heinrich VIII.:
»Es ist alles bereit. Die Protokolle, bis zum letzten Heben einer Augenbraue, sind hier.« Er wies auf eine Ledertasche, die von Papier überquoll.
»Ich glaube, ich kenne das alles schon auswendig«, sagte ich. Nur um es ihm zu zeigen, rührte ich die Papiere in der Tasche nicht an. »Morgen reite ich hinaus bis an die Grenze von Calais, wo man den Hügel versetzt hat. Mein Hofstaat wird hinter mir sein. Franz wird mir entgegenkommen, und wir werden uns genau auf halber Strecke treffen und umarmen, und dann werden, präzise aufgeteilt, die Ehrenfeiern und Festlichkeiten beginnen, bald in Guines, bald in Ardres.« Er machte ein betrübtes Gesicht.
»Ah, mein lieber Kardinal«, tröstete ich ihn. »Es wird ganz bestimmt Probleme und Verzögerungen geben. Nichts wird so fehlerlos vonstatten gehen, wie es auf dem Pergament steht. Und dann verlasse ich mich auf Euch.« Wann eigentlich hatten sich die Gewichte verschoben, war er von meinem Trost abhängig geworden? Wann hatte er aufgehört, mich mit seiner Fürsorge zu umhegen, wann hatte dies sich umgekehrt? »Morgen früh machen wir uns auf den Weg. Unsere englische Gruppe ist noch immer gespalten«, bekannte ich. »Die Hälfte wäre lieber nicht hier.«
»Sie misstrauen Frankreich aus tiefstem Herzen.« Er machte eine Geste der Hilflosigkeit. »Aber diejenigen, die gesagt haben, wenn sie wüssten, dass sie auch nur einen Tropfen französischen Blutes in sich hätten, würden sie sich die Adern öffnen und ihn hinausfließen lassen …« Er schüttelte den Kopf.
»Dramatische Worte«, sagte ich. Hatte er dafür kein Verständnis? »Wir werden bereit sein, meine Königin und ich. Wenn die Sonne aufgeht.«
Widerstrebend verabschiedete er sich. Er hatte noch etwas auf dem Herzen, das war klar. Aber ich wollte nicht mehr mit ihm sprechen. Also musste er gehen. Ich hörte seine Schritte draußen, als er sich zu seinem silbern aufgezäumten Maulesel begab – einem Symbol der Demut. Ich musste lächeln.
Aber das Lächeln verging, als ich das leere Zimmer durchquerte. Das Feuer flackerte noch immer im Kamin in der Ecke. Ich hatte kein Verlangen danach, zu Katharina hinaufzugehen, obwohl ich sehr müde war. Ich wollte allein sein.
Ich setzte mich auf einen kleinen Stuhl und starrte in die ersterbenden Flammen. Sie warfen geisterhafte Schatten durch das Zimmer, unter denen mein eigener nicht der geringste war. In einer seltsamen Anwandlung beneidete ich den Wollhändler, dem dieses Haus gehörte. Ich stellte mir vor, dass er ein glückliches Leben führte: Mit einem Geschäft, das ihm Freude machte, einer Frau, sieben Kindern. Er hatte es besser als ein König mit einem unfruchtbaren Weib und einem wachsenden Gefühl der Verzweiflung. Ja, ich verzweifelte … aber woran? Es gab nichts Handfestes, woran ich hätte verzweifeln können. Doch ehe solche Gedanken mich weiter beunruhigen konnten, stand ich auf und ging hinaus, und über eine lange Treppe gelangte ich nach oben, wo mich das Schlafgemach erwartete.
Will:
Er hatte keinen Grund, den Wollhändler zu beneiden; ich kannte ihn gut. Er hatte ständig Schulden, und seine Frau war ihm nicht treu. (Nur drei der sieben Kinder waren von ihm!) Aber wir sind immer neidisch auf andere und vergleichen unseren Schatten mit ihrer Sonnenseite.
Heinrich VIII.:
Ich schlief nicht in dieser Nacht. Stattdessen las ich noch einmal den Plan meiner Zusammenkunft mit Franz und probte alles in Gedanken. Als der Tag dämmerte, überkam mich die Schläfrigkeit, und ich versank in jenen seltsamen Halbschlummer, in den man im Morgengrauen an einem ungewohnten Ort verfällt: Es ist ein Schlaf, aus dem man wunderlich entnervt erwacht und nach dem man sich elender fühlt, als hätte man gar nicht geschlafen. So begann ich den Tag mit einem geänderten Gefühl meiner selbst.
Wir sollten, die ganze Gesellschaft aus England, an einen Ort mit dem großartigen Namen »Tal des Goldenen Tuches« reiten und dort die Franzosen treffen. Schon zu Zeiten der Römer hatte das Tal »Vallis Aurea« geheißen; offenbar hatte es lange auf ein großes Ereignis gewartet, nach welchem es weit im Voraus benannt worden war. Jetzt würden wir den Namen Wirklichkeit werden lassen.
Als die frühe Morgensonne über den dicht gedrängten Dächern von Calais erstrahlte, fand sie uns bereits in Scharen auf der Straße, hochgemute fünftausend an der Zahl. Alle trugen Pelze, Gold und
Weitere Kostenlose Bücher