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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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müde, sondern erfüllt von seltsamer Energie und Zielstrebigkeit. Der aufgehende Mond beleuchtete die schlafende Stadt, und als ich sie aus dieser Entfernung sah, war mir, als könne es keine schönere Stadt, keinen glücklicheren Herrscher, kein gesegneteres Land geben.
    Anne kam an den Hof!
    Und wenn sie erst da wäre, würde sie meine Mätresse werden – nein, meine Geliebte, denn »Mätresse« war allzu genau umschrieben, allzu eng begrenzt. Meine Geliebte, meine Vertraute, meine Seelengefährtin. Ja, meine Seelengefährtin. Meine Seele war allzu lange allein gewesen, und sie brauchte diese Begleiterin auf ihrem Wege. Zusammen wären wir ein Ganzes. Vereint würden wir, Irrsterne nicht länger, lodernd durch den Himmel ziehen …
    Wie kann ich es erklären? Etwas in ihr zog mich an; ich wusste: Ruhte ich an ihrer Brust, würde ich alles wissen, was ich im Leben wissen wollte, und die verschlossene Tür würde sich mir auftun …
    Im Grunde ist es unerklärlich. Etwas, das tief in Anne ruhte, rief etwas in der Tiefe meines Inneren. Und sein Ruf war machtvoll – nein, unwiderstehlich.

XXXIV
    N och zwei Wochen, und ich würde mich auf Staatsreise durch die Grafschaften des Reiches begeben müssen. Und wenn ich zurückkehrte, würde Anne auf mich warten, denn bis dahin würde sie sich bei Hofe eingerichtet haben. Dies zu wissen, ließ mir jeden Tag der Reise (die mir sonst immer solche Freude machte) nur zu einem Tag werden, der mich näher an mein Ziel brachte, näher zu meiner Sehnsucht …
    Aber als ich zurückgekehrt war und Katharina wie gewohnt meine Aufwartung machte, sah ich unter ihren Damen keine Spur von Anne.
    »Ich hatte deinem Gefolge eine neue Ehrenjungfer zugewiesen«, sagte ich, als wir endlich allein waren. »Mistress Anne Boleyn.«
    Katharina fuhr herum und sah mich an. »Ja. Nachdem die andere …«
    »Sie ist nicht wie ihre Schwester«, erklärte ich rasch – allzu rasch.
    Katharina, ganz in Schwarz gekleidet, hob die Augen zum Himmel. »Gott sei Dank dafür.«
    »Mistress Anne ist keusch und eifrig darauf bedacht, zu lernen.«
    »Die Dame scheint Euch wohl vertraut. Soll sie Eure nächste Mätresse sein?«, weinte Katharina. Sie zitterte im Mittagslicht am ganzen Leibe. Ein Teil meiner selbst wollte sie in den Arm nehmen und sie trösten, ein anderer aber sah sie mit Abscheu.
    »Ich wollte dir kein Ungemach schaffen«, sagte ich. »Ich wollte mich nur erkundigen, ob sie …«
    »Ich gestatte es nicht!«, kreischte sie und kam auf mich zu – langsam, in Anbetracht ihrer Leibesfülle und der zurückzulegenden Entfernung. »Erst diese Kreatur Blount, dann das Boleyn-Mädchen – und das alles bei Hofe, unverhohlen und vor meinen Augen …«
    »Selbstverständlich nicht!« Ich schob sie mit einer Hand von mir und nahm allen Mut zusammen, den ich in mir hatte. »Weib, du vergisst dich. Ich habe keine Mätresse, und zwar seit gut drei Jahren nicht mehr. Ich habe kein Verlangen nach Mätressen – und hätte ich es, dann wäre es gewiss nicht Boleyns dürres Töchterlein, frisch vom französischen Hofe!«
    Katharina richtete sich auf. »Natürlich nicht«, pflichtete sie mir bei.
    Sie ist wahrhaft königlich, dachte ich bei mir und bewunderte Katharina. »Mistress Anne ist nicht das, was die Fantasie eines Mannes anregen könnte«, erklärte ich abschätzig.
    Und doch regte sie die meine an. Kaum hatte ich die inneren Gemächer der Königin verlassen, hielt ich Ausschau nach Anne. Ein Schwarm hübscher junger Zofen wimmelte umher, aber sie war nicht unter ihnen. Mit gekünsteltem Lächeln bahnte ich mir meinen Weg zur äußeren Tür, und die ganze Zeit über fragte ich mich, wo Anne sein mochte.
    Es schien, dass sie sich vor mir verbarg, wenn sie überhaupt zum Hof gekommen war; Katharina hatte es geschickt vermocht, mir meine Frage nicht zu beantworten. Immer wenn ich Katharina besuchte, war Anne nicht da. Wenn Katharina zu irgendwelchen zeremoniellen Anlässen mit ihrem Staat erschien, war Anne nicht dabei. Ich war der Verzweiflung nahe, aber ein zweites Mal konnte ich mich nicht nach ihr erkundigen.
    Die nächsten Wochen waren eine Qual für mich. Ich war so besessen von Anne, dass ich kaum in der Lage war, mich den notwendigen Pflichten eines Königs zu widmen, etwa an dem Tage, da ich eine Abordnung von Händlern vom Wollmarkt zu Calais zu bewirten hatte.
    Ich hatte keine Lust, die Händler aus Calais zu empfangen. Der Sinn stand mir nicht nach Geselligkeit. Am liebsten hätte ich die

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