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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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und den schimmernden Scheitel in der Mitte. Als sie sich wieder erhob, griff der Wind ihr ins Haar, und ihr Gesicht verschwand für einen Moment wie der blasse Frühlingsmond, wenn schnell treibende Wolken über ihn hinwegziehen.
    Dann schaute sie mich an. Sie war groß, und ihr prachtvolles Haar umhüllte sie wie ein Mantel.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich musste doch etwas sagen. »Wollt Ihr nicht zu uns hereinkommen?« Die ersten Worte, die ich zu ihr sprach.
    Ihr Blick hielt kühn dem meinen stand. »Mir gefällt es bei Sonnenuntergang im Garten besser. Der Wind erwacht, und die Wolken reißen auf …«
    »Eine Malerin«, bemerkte ich rasch, ohne zu fühlen, wie scharf es klang. »Aber auch Künstler brauchen Gesellschaft.«
    »Ja. Ich habe gehört, in London gibt es bestimmte Viertel, in denen sie … mit ihresgleichen zusammenkommen und ihre Gesellschaft genießen. Wie gern wäre ich einmal dabei!« Ihre Stimme klang wild.
    Ich erinnerte mich meiner eigenen Sehnsucht, fortzulaufen und zur See zu gehen. Wir glichen einander … unsere Seelen waren verwandt …
    »Sie treiben unzüchtige, kühne Dinge dort, Lady.« Ich stellte sie auf die Probe. Was würde sie mir zur Antwort geben?
    »Das erschreckt mich nicht. Ich könnte ja mittun oder nicht, wie es mir beliebt.«
    Sie sah mich an, und ihr Blick brannte sich in meine Augen. Ein bleiches Gesicht, von schwarzem Haar umgeben … mich schauderte, und ich fühlte ein unheimliches Prickeln im Nacken und an den Unterarmen …
    »Wollt Ihr denn eine Zigeunerin sein und mit den Ausgestoßenen leben? Denn diese ›Künstler‹ gelten als Verdammte.«
    »Nein. Die Verdammten sind hier, zu Hever, in einem riesigen Gefängnis, auf Geheiß des Kardinals. Er hat mich hierher geschickt, weil ich es gewagt habe, einen Mann zu lieben, der schon verlobt war!«
    »Ihr seid hier zu Hause.«
    Sie sah sich nach den warmen, goldenen Mauern von Hever um. »Ich war hier nie zu Hause.«
    »Dann kommt an den Hof zurück«, sagte ich. »Kommt zurück und dient der Königin. Als Ehrenjungfer.« Ich beförderte sie, ohne mich zu besinnen. »Und Euer Bruder George«, fügte ich hinzu, »mag als Kammerherr in mein Schlafgemach kommen. Ihr solltet zusammen kommen.«
    Sie lächelte, und ihr Gesicht leuchtete auf wie ein Blatt, durch welches die Sonne scheint. »Wirklich?«
    »Wirklich«, bekräftigte ich feierlich.
    Sie lachte, und sie war nicht mehr ein geisterhaftes Wesen mit wirbelndem Hexenhaar, sondern das Weib, das ich mein Leben lang zu lieben gewünscht hatte. Es war erschreckend einfach.
    »Werdet Ihr kommen?«, fragte ich verwirrt.
    »Aye«, antwortete sie.
    Ich streckte meine Hand aus, und sie nahm sie, und zusammen gingen wir zurück zum Hause ihres Vaters.
    Es war sonderbar, in die Halle zurückzukehren und jedermann genauso dastehen zu sehen wie zuvor, während ich durch und durch verwandelt war. Ich ließ Mistress Boleyns Hand los, als ihr Vater uns besorgt entgegeneilte.
    »Ich wünsche, dass Mistress Anne an den Hof zurückkehrt«, verkündete ich, ehe er seinen redseligen Mund öffnen konnte. »Und George ebenfalls.«
    »Aber der Kardinal …«, begann er und zog dabei die Stirn kraus.
    »Zum Teufel mit dem Kardinal!«, rief ich – so laut, dass alle sich nach mir umdrehten. Ich senkte die Stimme. »Ich bin der König, nicht der Kardinal. Wenn ich sage, Mistress Anne und Master George sollen an den Hof kommen, dann hat der Kardinal damit nichts zu schaffen. Und wenn ich sage, der Kardinal soll sich in seine Erzdiözese nach York verfügen, dann reist er nach York, und zwar schnurstracks.« Ich zitterte vor Wut. Regierte hier etwa der Kardinal?
    Aber ich wusste, was er gemeint hatte. Er fürchtete und verehrte den Kardinal mehr als seinen König. Wie viele Leute im Reich mochten genauso empfinden?
    Es war schon dunkel, als wir uns auf den langen Heimritt nach London begaben. Erst geraume Zeit nach Mitternacht würden wir Westminster erreichen. Kaum konnte der Viscount uns nicht mehr sehen, wickelten meine Gefährten, die ihm eben noch versichert hatten, sie seien nicht im Mindesten hungrig, ihre in Linnen gewickelten Proviantpakete aus, die die königlichen Köche ihnen am Morgen bereitet hatten. Sie aßen mit Heißhunger, während wir ritten.
    Ich hätte auch hungrig sein müssen, aber ich war es nicht. Der Mond, er stand im letzten Viertel, ging erst auf, als wir schon die Außenbezirke von London erreicht hatten. Nicht einmal jetzt war ich hungrig oder

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