Ich, Heinrich VIII.
trat auf Neville zu. »Mir deucht, der Gentleman im schwarzen Mantel sollte wohl derjenige sein«, verkündete er und bot Neville seinen Sessel an.
Neville zögerte; er wusste nicht recht, wie es nun weitergehen sollte. Ich errettete ihn, indem ich mir die Maske vom Gesicht zog und lachte. Die ganze Gesellschaft fiel in mein Lachen ein.
Der Kardinal drehte sich bestürzt um. »Eure Majestät«, sagte er leise. »Ich sehe, ich habe mich von Euch täuschen lassen.«
Jahre später behauptete er, dieser Augenblick sei ein Omen gewesen.
Aber wenn wir zurückblicken, erscheint uns alles wie ein Omen. Ich könnte sagen, es sei ein Omen gewesen, dass Katharinas Fahrt nach England sich immer wieder verzögerte oder dass mich von jener weißgesichtigen Frau träumte … das alles waren Omen. Aber wenn wir so denken, wird das ganze Leben ein gewaltiges Omen, und wir erstarren vor lauter Angst.
Wie auch immer, das Fest musste seinen Fortgang nehmen. Nach der ersten Verlegenheit gelang es Wolsey, seine Betretenheit zu überspielen, und er gab das Zeichen zum Fortfahren.
Es sollte jetzt ein Maskenball stattfinden, und die Musikanten versammelten sich auf der Galerie. Zu zwölft sollten wir unsere Partnerinnen durch eine verschlungene Runde führen. Es stand uns frei, dazu unbekannte Damen zu erwählen.
Wo war Mistress Anne? Ich suchte die Gesellschaft ab und sah sie noch immer nirgends. Wolsey hatte fürsorglich die Anweisung gegeben, einige Fackeln auszulöschen, und so lagen nun alle Gesichter im Schatten, und von den Gästen sah man nur fein frisierte Köpfe und schimmernden Satin. Sie standen in Zweier- und Dreierreihen an den Wänden, und es war unmöglich, hinter der vordersten Reihe noch ein einzelnes Gesicht zu erkennen.
Mistress Carew stand ganz vorn und lächelte. Sie verstand zu tanzen; vermutlich taugte sie so gut wie die nächstbeste andere. Ich ging auf sie zu und war im Begriff, sie aufzufordern, als ich Anne unvermittelt erblickte. Zuerst war es nur eine Reihe von Perlen, die wie ein übernatürlicher Heiligenschein schimmerten. Dann erkannte ich ihr Antlitz in dem Perlenkreis.
Sie stand im Hintergrund, ein wenig abseits der anderen, als wolle sie vermeiden, dass jemand sie zu seiner Partnerin erkor. In ihrer Nähe brannte keine Fackel, die sie beleuchtet hätte. Man sah sie überhaupt nur, weil die hellen Perlen ihren Kopf umkränzten.
Ich drängte mich zu ihr hindurch – zu jedermanns Überraschung, nicht zuletzt zu ihrer eigenen. Sie starrte mich an, als ich auf sie zukam.
»Eure Majestät.« Sie senkte den Kopf. Ich nahm sie bei der Hand, und zusammen schritten wir in die Mitte der Tanzfläche.
Hier, wo das Licht heller war, sah ich, dass die auffällige Perlenkrone eine kleine Samthaube als Besatz zierte. Ich machte ihr ein Kompliment deshalb, und sie antwortete, es sei jetzt die Mode in Frankreich. Ihre Stimme hatte einen dunklen Klang – ganz anders als die modischen hohen Stimmen unserer Hofdamen. Auch ihr Kleid war anders; es war mit langen, vollen Ärmeln versehen, welche die Hände fast zur Gänze bedeckten. Sie hatte es selbst entworfen. Damals fand ich es bezaubernd. Heute weiß ich, warum es so sein musste – um ihr Hexenzeichen zu verbergen! Aber als ich ihre Hand zum Tanz ergriff, bemerkte ich den kleinen sechsten Finger nicht, so geschickt wusste sie ihn unter den anderen zu verbergen …
Sie tanzte gut – besser als unsere Engländerinnen. Als ich sie deshalb lobte, zuckte sie mit den Achseln und schrieb auch dieses Verdienst Frankreich zu.
»Ich habe es dort gelernt. In Frankreich tanzt jeder gut. Dort fand man, ich sei in dieser Kunst noch nicht sehr weit gediehen.«
»Frankreich.« Ich lachte. »Wo alles unecht ist, wo die Künstlichkeit zu einer Kunstform erhoben wird. Weil sie dort im Kern ganz hohl sind, müssen sie das Äußerliche feiern.«
»Ihr seid zu hart gegen Frankreich«, sagte sie. »Zu schnell damit bei der Hand, seine wahren Freuden abzutun – unter ihnen die Fähigkeit, den Schein zu schätzen.«
»Ein höfliches Wort für ›Täuschung‹.«
Sie lachte. »Das eben ist der Unterschied zwischen einem Engländer und einem Franzosen!«
»Der französische König ist das beste Beispiel«, grollte ich. Was hatte sie wohl von Franz gehalten?
»Ganz recht! Und er ist entzückend!«
Franz? Entzückend?
»Das fand zumindest Eure Schwester«, versetzte ich tadelnd.
Sie zog sich ein wenig zurück. »Ja, ich glaube, das fand sie.« Sie schwieg einen Augenblick
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