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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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lang. »Und sie hatte gewiss Gelegenheit zum Vergleich.«
    »Die könntet Ihr auch bekommen«, sagte ich. »Allerdings müsstet Ihr auf unserer Seite des Kanals beginnen.« So, jetzt hatte ich es gesagt. Ihre Gegenwart, ihre Nähe ließ mich entflammen. Ich musste sie haben. »Es sei denn … Ihr wüsstet bereits, wie Franz …?« Ich musste es sofort wissen; es war wichtig, dass ich es sofort erfuhr. Denn das wollte ich nicht – ich würde es nicht ertragen …
    »Nein. Ich weiß nichts. Nur das, was Mary mir gesagt hat.«
    Sie hatte geredet? Sie hatte alles erzählt? Da war ich dankbar, dass ich nach ihrem ersten Ehejahr keine Beziehung mehr zu ihr unterhalten hatte. Ein Weib, das Einzelheiten weitertrug? Abscheulich, abscheulich!
    »Ich bin ganz und gar ungelehrt in diesen Dingen, Euer Gnaden«, sagte sie. »Ich brauche einen Lehrer.«
    Keine Trauer um den verlorenen Percy, dem sie sich doch versprochen hatte? Selbst in diesem Augenblick entsetzte mich ihre Treulosigkeit. Aber da ich den Nutzen davon hatte, verharrte ich nicht weiter dabei. Stattdessen ließ ich mir sogleich Ausreden dafür einfallen. Da hast du’s, dachte ich bei mir. Es beweist nur, dass sie ihn nie wirklich geliebt hat.
    »Ich könnte Euer Lehrer sein«, erklärte ich kühn.
    »Wann?« Ihre Antwort war nicht minder kühn.
    »Morgen. Ihr trefft mich« – oh, wo sollten wir uns treffen? – »auf der Musikantengalerie über der Großen Halle.« Wann pflegte Katharina sie zu entlassen? »Um vier Uhr nachmittags.« Eine beliebte Zeit für solche Tändeleien.
    In diesem Augenblick war das Musikstück zu Ende. Anne löste rasch ihre Hand aus der meinen, nickte und war verschwunden. »Ich danke Euer Gnaden«, sagte sie noch leichthin, ehe sie davonhuschte. Einen unangenehmen Augenblick lang erinnerten mich ihre Bewegungen an eine behände, dunkle Schlange, die ich einmal im Garten zu Eltham an der Mauer gesehen hatte …
    Morgen würde es beginnen. Morgen …
    Ringsum warteten die Höflinge, silberne Masken vor den Gesichtern. Wir würden tanzen – jawohl, die ganze Nacht wollten wir tanzen. Wolsey sollte neue Fackeln bringen!

    Die Musikantengalerie, von der aus man über die Große Halle hinausblicken konnte, lag im Schatten. Hier war man völlig ungestört. Durch eine Fensterreihe, die sich der Länge nach durch die Halle zog, barst das Licht herein, aber zur Galerie strahlte es nicht herauf. Nicht, dass Anne auch vom grellsten Tageslicht irgendetwas zu fürchten gehabt hätte. Sie war jung und völlig makellos.
    Ich hatte noch nicht entschieden, was ich mit ihr anfangen wollte. Ich würde sie zu meiner Mätresse machen, ja, natürlich, das wusste ich schon. Aber nach dem Beischlaf … seltsam, aber ich dachte mehr um ihretwillen als meinetwegen an den Beischlaf. Ich brauchte ihn nicht mehr, um sie an mich zu binden, denn das war geschehen, als ich sie in Hampton Court das erste Mal gesehen hatte. Das seltsame Band war in jenem Augenblick geknüpft worden. Der Beischlaf war für sie. Frauen nahmen alles so buchstäblich. Wenn es nicht eine körperliche Verbindung gäbe, würde sie sich nicht an mich gebunden fühlen.
    Ich wartete. Die Gemächer (leer seit Mary Boleyns Verschwinden aus meinem Leben) waren bereit. Ich hatte befohlen, sie zu schrubben, zu lüften und frisch zu machen und das Bett mit feinsten Laken und Brüsseler Spitzen zu beziehen. Keine halbe Stunde, und ich würde Anne dorthin führen … und in weniger als einer Stunde würden wir unser gemeinsames Leben beginnen. Was immer das bedeutete, wohin es auch führen mochte …
    Ich wartete. Ich sah zu, wie die großen Vierecke, die die Fenster auf den Fußboden der Halle malten, ihre Form veränderten, während die Sonne sank. Schließlich waren sie zu langen, dünnen Streifen geworden, und dann verblassten sie, und Zwielicht erfüllte die Halle.
    Anne kam nicht. Sie hatte unsere Verabredung gebrochen.
    Vielleicht hatte Katharina sie gehindert. Vielleicht hatte Katharina sie unerwartet für irgendeine Zeremonie benötigt. Vielleicht hatte Katharina sie sogar lieb gewonnen und wollte jetzt nur noch mit ihr plaudern und ihre Gesellschaft genießen.
    Anne war so gewinnend, dass dies am wahrscheinlichsten war.
    Ich wollte die schmale Steintreppe hinuntersteigen, als ein Page sich zögernd näherte. »Eine Botschaft«, sagte er und drückte sie mir in die Hand. Dann verbeugte er sich und hastete davon.
    Ich faltete das Papier auseinander.
    »Euer Gnaden«, las ich, »ich konnte unsere

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