Ich, Heinrich VIII.
aufmerksam machen würden. Ich fuhr sie in scharfem Ton an, und sie verstummten. Still folgten sie mir auf dem Weg.
Vor dem Palast hielten wir inne. Jedes Fenster leuchtete gelb vom Licht der Fackeln und Kerzen, die drinnen brannten. Eben winkte ich meinen Leuten, als ein ohrenbetäubendes Donnern und Dröhnen unsere Stimmen übertönte. Dem Lärm folgte mehrmaliges lautes Klatschen auf der Themse. Kleine Geschütze.
»Man begrüßt uns«, sagte ich. »Wie freundlich, wo wir doch alle Ausländer sind.« Ich sah mich in der Runde meiner Gefährten um; das Licht, das aus den Palastfenstern fiel, beschien matt ihre Gesichter. »Ihr alle sprecht französisch, nicht wahr?« Sie nickten – nicht ganz einmütig. »Das ist ein Glück, denn wir sind verirrte französische Schäfer. Kommt, meine Freunde.« Ich ging vorauf zu der großen, mit Nägeln beschlagenen Tür des Kardinalspalastes und schlug mit der Faust dagegen. Unverzüglich öffnete ein Diener; er starrte uns an und tat, als sei er durch unsere Kostüme und unsere Gegenwart wie vom Donner gerührt.
»Wo ist Euer Herr?«, verlangte ich in meinem besten Französisch zu wissen. Jemand hastete herbei und übersetzte meine Frage. Der Diener verbeugte sich und bedeutete uns, ihm zu folgen.
Die Große Halle war hell erleuchtet, heller, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Vor uns erstreckten sich lange Tafeln, bereit für das Bankett. Ein frühherbstliches Feuer knisterte in dem gewaltigen Kamin, und Stimmengewirr war allenthalben zu vernehmen – Stimmengewirr, das verstummte, als wir in der Tür erschienen.
Ein Diener kam herbei und erkundigte sich nach unserem Begehr. Ich spielte meine Rolle und antwortete auf Französisch. Er wandte sich mit hilfloser Gebärde zu seinem Herrn um; Wolsey saß, prachtvoll angetan mit rotem Satin, unter seinem Staatsbaldachin. Als er unser ansichtig ward, stemmte er sich aus seinem großen, geschnitzten Sessel hoch und watschelte auf uns zu.
»Fremde!«, rief er aus. »Wie seid Ihr hergekommen?«
Ich antwortete in französischer Sprache, woraufhin er die Hände hob, als ob er mich nicht verstehe.
»Es sind Franzosen! Französische Schäfer!«, setzte er spitz hinzu. »Doch auch wenn wir gegen ihren König Feindseligkeit empfinden, müssen wir sie willkommen heißen.« Er wies uns zu einem der langen Tische.
Unterdessen hatte ich die Gäste längst gemustert. War sie hier? Ich konnte sie nicht entdecken.
Ich nahm meinen Platz ein und verspeiste alles, was mir vorgesetzt wurde; das Bankett wurde später als »prachtvoll und glänzend« beschrieben. Das war es vermutlich auch, bei all dem silbernen und goldenen Geschirr und den üppigen Speisen. Aber ich nahm nichts davon wahr, so ungeduldig wartete ich darauf, zu sehen, ob sie zugegen sei. Was kümmerten mich Speisen oder Teller oder Leckereien? Die hatte ich fünfzehn Jahre lang genossen!
Nach dem Essen sollten Glücksspiele stattfinden, mit Würfeln, Brett und Karten. Wir waren genötigt, von Tisch zu Tisch zu gehen und gegen alle Gäste zu spielen, auf Wolseys Kosten. Er hatte Schüsseln über Schüsseln voller Dukaten aufstellen lassen. An jedem Spieltisch suchte ich nach Mistress Anne, aber sie war nicht zu sehen.
Schließlich ließ Wolsey eine Fanfare blasen. »Ich wollte mich soeben wieder auf meinen Staatssessel verfügen«, verkündete er und schürzte die schillernden Falten seines Satingewandes. »Doch nun sehe ich, dass hier jemand zugegen ist, der höher steht als ich, jemand, der ein größeres Anrecht auf diesen Stuhl hat. So bitte ich denjenigen unter Euch, der ihn erkennt, ihn mir zu zeigen, auf dass ich ihm diese Ehre erweisen kann.«
Was für ein albernes Spiel! Ich hatte dergleichen satt. Ich hatte manches satt, um die Wahrheit zu sagen.
»Sir«, sagte Henry Courtenay – stets der eifrige Höfling –, »wir gestehen, dass sich eine solche edle Persönlichkeit unter uns befindet. Wenn Ihr erkennt, wer es ist, so wird er sich mit Freuden offenbaren und Euren Platz einnehmen.«
Jetzt huschten Wolseys schlaue Augen hin und her. Die kleineren der Männer in den Schäferkostümen konnte er sogleich eliminieren. Übrig blieben ich, Edward Neville und Charles Brandon. Brandon war breiter und kräftiger als ich; insofern konnte Wolsey uns beide unterscheiden. Neville war barhäuptig (wenn auch maskiert); er hielt seine Mütze in der Hand, und sein dichtes, rotgoldenes Haar schimmerte im Fackelschein und zog Wolseys Blick auf sich.
Der füllige Kardinal
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