Ich, Heinrich VIII.
kalte Winterluft. »Ach, Tom! In letzter Zeit habe ich solches Verlangen, Äpfel zu essen. Äpfel, Tom! Und dabei sind keine zu finden! Weißt du, was das bedeutet?« Wild blickte sie umher. »Der König sagt, es bedeutet, dass ich ein Kind bekomme! Aber ich sage ihm: ›Nein! Nein, das kann nicht sein!‹« Und dann fing sie an zu lachen, wandte sich ab und eilte davon, und die Höflinge blieben verlegen und sprachlos stehen. Ihre Sprachlosigkeit war indessen nicht von langer Dauer, denn bald hatte die Geschichte am Hofe die Runde gemacht und kam auch mir zu Ohren.
»Anne! Was meintest du damit?« Jetzt war es an mir, ihr Vorwürfe zu machen.
»Gar nichts«, antwortete sie lustlos. Sie saß am Fenster und zupfte müßig die Saiten ihrer Laute. Alles, selbst die Strahlen der trüben Wintersonne, die zum Fenster hereinfielen, schien entnervt von einem sonderbaren, spätwinterlichen Überdruss. »Ich weiß nicht, was über mich kam.«
Ihre halbherzige Ausrede genügte mir als Entschuldigung. Es fehlte mir an Energie, die Sache weiterzuverfolgen.
»Ohne Zweifel.« Ich schaute hinaus über den Flickenteppich der Felder; sie waren grau von abgestorbenem Gras und altem Schnee. Wie lange noch? Wie lange sollte ich auf eine Nachricht aus Rom warten? Die Straßen vom Süden herauf waren frei.
»Fluch über Klemens!«, spie ich.
Anne spielte weiter auf ihrer Laute.
»Fluch über Katharina!«, fügte ich hinzu, um das Maß voll zu machen. »Ich habe jetzt noch einmal eine Abordnung zu ihr geschickt und sie aufgefordert, sich jeglichen Anspruchs darauf, meine Ehefrau zu sein, zu begeben. Aber sie bleibt starrsinnig. Wie ein Papagei wiederholt sie immer nur: ›Ich wurde rechtmäßig mit Prinz Heinrich vermählt. Der Dispens des Papstes war gültig. Ich war Heinrichs Weib, ich bin Heinrichs Weib, und Heinrichs Weib werde ich bleiben, bis ich sterbe.‹«
»Bis sie stirbt?« Anne legte ihre Laute nieder. »Dann sperrt sie irgendwo in einen Käfig, wo sie ihr Lied ungehört weitersingen mag – bis zu jenem Tag.«
Aye. Ich schaute hinaus auf die trostlosen Felder. Irgendwohin mit ihr, wo es das ganze Jahr über so war. Sollte sie ihr albernes Lied den Sümpfen vorsingen!
Buckden war (nach den Maßstäben Edwards iii.) ein »behagliches« Backsteinschloss, das den Bischöfen von Lincoln gehörte; es lag unmittelbar an der Grenze des Moorlandes, jener weiten grauen Sümpfe, die das Land an der Ostküste Englands bedecken, das alte East-Anglia – historisch, geheimnisvoll, ungesund.
Sogleich erteilte ich meine Befehle. Die Prinzess-Witwe würde sich geradenwegs nach Buckden verfügen.
Sollte sie da im Sumpf verrotten!
Keine fünf Tage, und ein Bote kam aus Ampthill, der meldete, dass Katharina gegen den Umzug nach Buckden protestiere und sich weigere, sich anders denn als Königin anreden zu lassen. Für ihre Bediensteten habe sie überdies ganz neue Livreen in Auftrag gegeben, auf denen goldene Ks und Hs ineinander verschlungen waren. Als ich vor Wut in lautes Gebrüll ausbrach, überreichte man mir einen Brief von des Weibes eigener Hand. Er war adressiert mit dem vertrauten, dicken schwarzen Gekritzel – als klopfe jemand mit dem Stab auf den Boden, um meine Aufmerksamkeit zu erheischen.
Ich riss das Sendschreiben auf. Ihr Ton war vollkommen darin eingefangen; es war, als stehe sie vor mir. Natürlich stand nichts Neues darin; es waren die üblichen Vorwürfe, gefolgt von den üblichen Beteuerungen ewiger Liebe und Ergebenheit und Treue. Bah! Wann würde sie anfangen, mich zu hassen? Ich freute mich auf diesen Tag.
Wieso hasste sie mich nicht schon längst? Sie hatte allen Grund dazu. Jede normale Frau hätte es getan. Aber nicht Katharina von Aragon, die Tochter Ferdinands und Isabellas, Katharina von Spanien, Katharina die Stolze. Ich stand unter ihr. Das machte es so schwierig, in menschlichen Kategorien gegen sie zu streiten.
Ich ließ mich auf ein Kissen fallen und nahm meine kleine Harfe zur Hand. Musik. Ich brauchte die Musik.
Weniger als eine halbe Stunde hatte ich allein sein können, als Henry Norris, mein vertrautester Kammerdiener, hereinkam. »Euer Gnaden«, sagte er besorgt, »da ist ein Bote von Seiner Heiligkeit.«
Ich sprang auf. Die lang erwarteten päpstlichen Bullen für Cranmer!
Norris las in meinem Gesicht. »Nein! Er bringt keine guten Nachrichten. Klemens hat ihm befohlen, Euch die Weisung in die Hände zu legen, Katharina wieder zu Euch zu nehmen und Euch von Anne zu trennen – bei
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