Ich, Heinrich VIII.
zurück. Wir schauten einander an.
»Nun, Weib«, sagte ich schließlich; es sollte leicht und scherzhaft klingen, aber das alles verflog, als ich sie sah: Ihre Jugend, ihre Schönheit, ihr Leben – und alles war mein. »Oh, Anne.« Ich umarmte sie. Endlich lebte ich. Das Warten hatte lange gedauert, doch nun war alles gut, alles ging seiner Bestimmung entgegen in dieser einen Umarmung, Fleisch an Fleisch, als ich meine wahre Gemahlin an mich drückte.
Die nächsten Tage vergingen wie in einem fantastischen Traum. Ich war auf der Erde, und doch war ich es nicht. Am Tag unterschrieb ich Dokumente, und ich kleidete und benahm mich wie ein König. In der Nacht aber war ich Annes Gemahl, ihr heimlicher Gemahl!
Der Januar ging zu Ende, der Februar brach an. Immer noch ließ der Papst auf sich warten. Keine Kunde kam aus Rom. Mit weiterem Drängen konnte ich mich leicht verraten. Also musste ich warten – und eben dies konnte ich so schlecht.
Mitte Februar. Lange Eiszapfen hingen an den Dachkanten, und der Schnee reichte bis über den Stiefelrand. Aber die Sonne ging nicht mehr so früh unter, und am Fall der Schatten sah ich, dass der Frühling nicht mehr fern war. Der Aschermittwoch nahte, und wenn erst die Fastenzeit begonnen hätte …
Am Sonntag vor Aschermittwoch lud ich zu einem kleinen Mahl. Hirschbraten wollte ich servieren, Wein und alles das, was in den nächsten vierzig Tagen verboten sein würde. Ich bat nur solche dazu, die ich wirklich sehen wollte: Brandon, Carew, Neville … nein, das stimmt nicht. Die Wahrheit ist: Brandon, Carew und Neville waren die einzigen unter meinen Gästen, die ich wirklich sehen wollte, aber es waren doch noch andere da: Cromwell, Annes Vater und ihr Bruder, seine Frau Jane … Die Boleyns musste ich um Annes willen herzubitten, und Cromwell, damit er seinen Spitzeln eine Ruhepause gönnen konnte. Anne saß bei ihrer Familie, wie es sich für eine unvermählte Jungfrau geziemte, und sie hielt die Augen sittsam gesenkt. Es erfüllte mich mit wollüstigem Vergnügen, diese Rolle zu spielen; es entfachte mein Verlangen mehr, als wären wir allein gewesen.
Der Kerzenschein erreichte sie fast nicht; ihr Gesicht lag großenteils im Schatten – zutreffender gesagt, der ganze Raum lag großenteils im Schatten. In einem großen Schrank an der einen Wand glänzte all das Silbergeschirr, das der venezianische Doge mir geschenkt hatte, auf byzantinische Art wunderschön gearbeitet. Wie das Kerzenlicht sich darin fing; wie gut sie dort ihr Handwerk verstanden …
»Ist das nicht eine herrliche Aussteuer?«, fragte ich leise die alte Herzoginwitwe von Norfolk, die neben mir saß. »Das Silbergeschirr – ist Anne nicht prachtvoll ausgestattet?«
Sie starrte mich an wie ein entrüsteter Habicht.
»Wie konntet Ihr so etwas sagen?«, schalt Anne mich am Tag darauf, als meine sorglose Bemerkung schon weithin die Runde gemacht hatte. Wie alles, was der Wein uns sagen lässt, verlor sie bei Tageslicht sehr an Glanz.
»Es lag am Wein«, erwiderte ich; ich hatte es satt, mich zu entschuldigen und für alles eine Erklärung abzugeben.
»Der Heiligen Jungfrau sei’s gedankt, dass es in den nächsten vierzig Tagen nur wenig Wein geben wird!«
»Wenn diese Fastenzeit zu Ende geht, wirst du längst in aller Öffentlichkeit als mein Weib und meine Königin an meiner Seite wandeln.« Und plötzlich wurde daraus ein Gelübde. »Am Abend des Osterfestes wirst du mit mir zur Messe gehen, geschmückt mit allen Titeln und königlichen Juwelen, die ich dir geben kann!«
»Am Abend des Osterfestes?«
»Aye. Also zähle du die vierzig Tage dieser Fastenzeit, bete um eine gesunde Niederkunft und darum, dass wir lange herrschen mögen. Denn so soll es geschehen – das verspreche ich dir.«
Drei Tage später, Aschermittwoch. Die Kälte kroch durch jede Ritze. Asche auf meiner Stirn. Gedenke, Mensch, Staub bist du, und zum Staub sollst du zurückkehren. Staub. Ich sprach die Worte mit dem Mund, versuchte zu beten, als wäre es wahr, aber ich war nicht Staub in dieser Fastenzeit des Jahres 1533. Ich war aus Luft, ich war aus Federn, ich war gesegnet – ich war König von England, und Anne war meine Frau.
Der zweiundzwanzigste Februar. Anne kam früh am Morgen aus der Kapelle und traf im Schlosshof zufällig auf eine Schar von Höflingen. Unter ihnen entdeckte sie Thomas Wyatt.
»Tom!«, rief sie aus und lief ihm mit ausgestreckten Händen entgegen. Ihre Stimme schallte laut und klar durch die
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