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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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und besprengte uns mit Weihwasser aus einem silbernen Gefäß. Hinter ihm gingen zwei Diener in schimmernden, purpurroten Bußgewändern, die jedem »Pilger« einen Weidenzweig überreichten.
    Cranmer segnete sie. »Wie die Menschen vor langer Zeit Unseren Herrn zu Jerusalem willkommen hießen, indem sie ihm mit Palmwedeln zujubelten, so wollen auch wir tun in unserem Leben. Bewahrt und benutzt diese bescheidenen Zweiglein zur Ehre Gottes, auf dass sie euch auf eurer geistlichen Reise zu Diensten sind.«
    Dann wandte er sich langsam und würdevoll um und leitete uns gemessenen Schritts in die Abteikirche, wo er den Triumphzug nach Jerusalem mit einer Messe feierte, die so großartig und vollkommen war, dass kein Papist, mochte er ein noch so glühender Eiferer sein, uns irgendwelcher Neigungen zum Luthertum oder der Abkehr vom Wahren Glauben würde bezichtigen können.

    Spitzelmittwoch. Der Tag in der Überlieferung, an dem Judas es unternahm, Jesum zu bespitzeln, Ihn auszufragen, zu erkunden, wo Er sich nächsten Tags aufhalten werde, auf dass er Kaiphas und den anderen Nachricht geben und seine dreißig Silberlinge verdienen könne. Den ganzen Tag über stellte Judas vermutlich geschmeidig verfasste Fragen: »Mein Herr und Meister, mit wem wirst Du das Passahmahl einnehmen?« Und dann musste er wohl ein Weilchen warten, ehe er sich beiläufig erkundigen konnte: »Und in welcher Straße steht das Haus, in dem wir vor Sonnenuntergang zusammenkommen sollen?«
    Spione. Ich hasste Spione. Ich konnte mir nicht vorstellen, was ein Mann empfinden musste, der spionierte. Oder einer, der Spione besoldete. Ich fand, wenn ein Mann begann, sich auf Spione zu verlassen, gab er sich in ihre Hände. Zunächst ist die Kunde, die sie ihm bringen, wahr, aber sie dient nur als Köder, ihn zu fangen, und danach ist nichts mehr so, wie es zu sein scheint. Ich zog es vor, in meinem Handeln auf das zu bauen, was offensichtlich war und was ich mit eigenen Augen sehen konnte.
    Die Nacht sank herab, und es wurde Zeit, zur Messe zu gehen – zum öffentlichen Singen des »Tenebrae«. In der großen Abteikirche würden sämtliche Kerzen nacheinander ausgelöscht werden – um so zu versinnbildlichen, wie Jesus von allen, bis zum letzten seiner Jünger, verlassen wurde.
    Der Tag selbst war düster gewesen, und so lag bereits ein Gefühl von Verzweiflung und Verlorenheit in der Luft. Das Singen der Priester, einem Totenlied gleich, und das mähliche Verlöschen allen Lichtes im weiten Kirchenschiff verstärkten diese Stimmung noch.
    Es war wie in einer Gruft – kalt und finster und von Stein umschlossen. Ich bemühte mich angestrengt, mir vorzustellen, was im Kopfe Unseres Herrn vorgegangen sein musste, als Er sich allein auf Erden wusste. Eine grauenvolle Frist lag zwischen der Gemeinschaft des Letzten Abendmahls und der glorreichen Auferstehung; die Theologen nannten diese Zeit die Stunde des Satans. Es war eine Zeit, in der Christus alle Trostlosigkeit des Menschen empfand, da Ihm war, als habe Gott selbst Ihn verlassen.
    Mich fröstelte unter meinem Mantel. Wie rasch sie sich dazu verstanden hatten, Ihn zu verlassen! Wie bald der Passahwein und die Kerzen und die Wärme verflogen gewesen waren. All unsere Versuche, den Satan in Schach zu halten, sind so schwach und erbärmlich. Er überwältigt uns immer wieder, und dann müssen wir ihm entgegentreten und ihm ins Gesicht sehen – allein.
    Ich drehte mich um, aber ich sah nichts mehr. Ich hörte Menschen husten und sich bewegen, doch sie alle waren vor meinen Augen verborgen und getrennt voneinander.
    So herrscht Satan – indem er uns voneinander trennt.
    Aber nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, sagt der heilige Paulus.
    Nichts außer der Verzweiflung.
    Die Verzweiflung ist somit Satans Dienerin.
    Gründonnerstag. Nach dem Letzten Abendmahl wusch Christus seinen Aposteln die Füße und sprach zu Petrus: »Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Teil an mir.« Und jetzt muss ich, wie es die Könige von England seit Menschengedenken getan hatten, Bettlern die Füße waschen – so vielen Bettlern, wie ich an Jahren zählte. Im gut beleuchteten Kapitelhaus der WestminsterAbtei erwarten mich einundvierzig arme Männer.
    Ich trete ein. Sie sitzen auf der Steinbank, die sich an der einen Wand entlangzieht, und schauen staunend um sich. Sie sind barfuß, nicht, weil sie ihre Schuhe ausgezogen haben, sondern weil sie keine Schuhe haben, die sie hätten ausziehen können …
    Ich

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