Ich, Heinrich VIII.
knie vor dem Ersten nieder; er steht für das erste Jahr meines Lebens. Er ist alt und faltig wie ein krankes Huhn, und seine Füße sind schwielig und so hart wie Krallen. Ich gieße das warme, nach Rosen duftende Wasser darüber und trockne sie dann sanft mit einem neuen Leintuch.
Der Nächste hat schwärende Furunkel an den Füßen. Grünlich fließt Eiter in das Wasser, wölkt im silbernen Gefäß. Ich winke Norris, er möge eine neue Schüssel für den nächsten Mann bringen. Es dauert über eine Stunde, bis ich dem letzten die Füße gewaschen habe.
Die ganze Zeit über fühle ich nichts. Außer der Scham darüber, dass ich nichts fühle.
Karfreitag, Ich faste den ganzen Tag, eingesperrt in unserer kleinsten, schlichtesten Kammer. Keiner bei Hofe darf mit irgendjemandem sprechen, lächeln, singen, essen oder etwas anderes als schwarze Kleidung tragen. Sogar die eisernen Klöppel der Kirchenglocken sind durch hölzerne ersetzt, die nur einen stumpfen, gedämpften Klang hervorbringen. Ein einziges Stück Fleisch liegt auf dem Tisch, auf dass es von Maden durchsetzt werde und uns an die Verwesung gemahne, die unser aller harrt.
Drei Uhr – die Stunde des Todes, die Stunde Satans. Der Vorhang im Tempel reißt mitten entzwei, und wir sind den Mächten der Finsternis anheim gegeben.
Und dann fühlte ich es – ich fühlte, wie seine kalte Hand mich packte. Und was Vorwand, Form und Spiel gewesen war, wurde Wirklichkeit. Ich spürte die Macht des Teufels, spürte ihn in meinen Eingeweiden. Und Gott war weit weg, und all die Zeremonien taten nichts dazu, ihn zurückzurufen. Ohnmächtig, ohnmächtig …
Und wieder alle in der Abtei, zusammengedrängt, ein Schwarm schwarzer Krähen. Nun enthüllte Cranmer das große Kruzifix in drei Schritten und sang dabei trauervoll: »Sehet das Holz des Kreuzes, an welchem hing die Erlösung der Welt!«
Wir knieten nieder und sangen: »Kommt, lasset uns anbeten!«
Das Kruzifix wurde ehrfürchtig auf den Altarstufen auf ein Kissen gelegt. Cranmer kroch auf den Knien darauf zu, küsste es und warf sich dann davor auf die Steinfliesen.
Jetzt war ich an der Reihe. Ich war entsetzt, entsetzt über meine anmaßende Arroganz. Ich hatte diese Zeremonie als politisches Schaustück benutzen wollen, um das Volk meiner Unschuld zu versichern und ihm zu verstehen zu geben, dass ich nichts Schlechtes getan hatte, als ich Cranmer zum Erzbischof ernannt hatte. Und jetzt erzitterte ich angesichts dessen, was es bedeutete, mich dem Altare Gottes aus solchen Beweggründen zu nahen. Würde Er mich niederschmettern, wie Er es mit anderen Herrschern getan, die Ihn in Seinem Hause verhöhnt hatten?
Ich begann, auf den kalten Steinen zu den Altarstufen zu kriechen. Meine Hände zitterten.
»Gnade!«, hörte ich meine Stimme flüstern. »Gnade, o Herr! Vergib mir.« Ich kam näher und näher. Mein Herz klopfte so schnell, dass mir schwindlig wurde. Er würde warten, bis ich in meiner Vermessenheit das Heilige Kreuz berührte, ehe Er mich zerschmetterte.
Jetzt! Ich streckte die Hand aus und umklammerte das Holz, und ich hielt mich daran fest wie an einem Felsen. Ich fühlte Kraft; Macht durchströmte mich und erfüllte mich mit Frieden, mit gleißendem Frieden.
Ich atmete aus. Ich hatte immer geglaubt, Frieden sei die Abwesenheit von Furcht, die Abwesenheit von Schmerz oder Trauer. Jetzt wusste ich, dass es den Frieden an sich gab, eine Erscheinung von eigener Gestalt, die andere Empfindungen verdrängte.
Ich legte die Stirn an das heilige Holz, drückte sie fest dagegen, als könnte dies einen Schwall dieser wunderbaren Erscheinung in meinen Körper fließen lassen. Ich wollte ganz und gar davon erfüllt sein, wollte selber lauter Frieden sein.
Und dann war es vorbei; die heilige Erscheinung war verweht, und ein menschlicher König kauerte über einem gewöhnlichen Stück Holz. Cranmer wartete, dass ich aufstand und dem nächsten Büßer Platz machte. Steif erhob ich mich und verließ die Kirche.
Samstagmorgen. Karsamstag. Das harte, klare Licht brach ins Zimmer, auf seine Art grausamer und beängstigender als die Dunkelheit der Nacht zuvor. Ich konnte all die strahlenförmig auseinander strebenden Falten in meinem Gesicht erkennen, als ich mir den Handspiegel vorhielt. Auf meinen Handrücken sah ich feine Unterteilungen der Haut, kleinen Diamanten gleich geformt, in endloser Wiederholung – wie in der Haut einer Eidechse. Sie würden sich vertiefen und im Laufe der Jahre immer ausgeprägter
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