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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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gleichen schrillen, hochfahrenden Ton. Und sie öffnete einen glitzernden Silberbeutel.
    Was war nun das? Sie inszenierte das uralte Ritual, in dem eiserne Ringe verteilt wurden, um diejenigen zu kurieren, die an Krämpfen und Rheumatismus litten: Ringe, die ihre Kraft dadurch empfingen, dass ein echter Monarch den Karfreitagssegen über sie sprach. Sie musste heimlich die Ringe beschafft und den heiligenden Ritus vollzogen haben, in der Absicht, sie an diesem Abend zu verteilen. Warum hatte sie darüber nicht vorher mit mir gesprochen?
    »Kommt her, ihr guten Leute. Sie werden euch Linderung verschaffen, werden denen helfen, die leiden müssen. Gestern hat eure liebende Königin den Segen über sie gesprochen.« Sie streckte den Leuten eine Hand voll Eisenringe entgegen. Niemand rührte sich. Anne machte noch einmal eine einladende Gebärde. Ich winkte sie heran, und sie kamen langsam und nahmen die Ringe entgegen – so bereitwillig, wie eine Hausfrau eine tote Maus fortnimmt.
    »Seid gesegnet!«, wiederholte Anne unablässig in einer Manier, die sie anscheinend für königlich hielt; offensichtlich hatte sie es eingeübt. Ohne mich zu befragen.
    Endlich war diese grässlich peinliche Zeremonie vorüber, und die letzten der Karfreitags-Krampfringe waren verteilt.
    Bei der Abteikirche auf der anderen Seite des Hofes erschollen die Trompeten. Es wurde Zeit für die königliche Prozession. Anne und ich führten den Herzog von Richmond mit uns, meinen hübschen, vierzehnjährigen leiblichen Sohn; dann kam der Herzog von Norfolk (ohne seine Herzogin, von der er sich getrennt hatte, aber auch ohne seine Waschfrau, mit der er jetzt zusammenlebte); es folgte der Herzog von Suffolk (ebenfalls ohne sein Weib, meine Schwester Maria, denn sie lag in ihrem Landhaus krank darnieder); Henry Courtenay, der Marquis von Exeter; Margaret Pole, Gräfin von Salisbury, mit ihrem Sohn Lord Montague; die Grafen von Rutland und Bath; Lady Margaret Douglas, meine romantische Nichte (Tochter Margaret Tudors und des Grafen von Angus) … und hinter all diesen die große Schar der titellosen Höflinge. Irgendwo unter ihnen der schlichte Meister Cromwell.
    In der Abtei war es dunkel, dunkel wie im Heiligen Grab. Dann hörte man ein Schürfen, das Geräusch von Feuerstein auf Stahl, und der erste Funke des neuen Osterfeuers wurde entfacht – entfacht und rasch auf einen Kienspan übertragen, und damit ward dann die große Osterkerze entzündet, ein Zylinder aus reinem Bienenwachs vom Umfang eines Männerschenkels.
    »Halleluja!«, verkündete Cranmer.
    »Halleluja!«, antwortete die Gemeinde hallend.
    »Er ist auferstanden!«
    Die silbernen Trompeten gellten, und Kerzen ließen die ganze Kathedrale in hellem Licht erstrahlen.
    »Gebt euch den Friedenskuss!«, befahl Cranmer.
    Bewegung erfüllte das Kirchenschiff, als jedermann sich seinem Nachbarn zuwandte und ihn auf die Wange küsste.
    Die traditionelle Auferstehungsmesse begann. Nichts wurde ausgelassen – von der Prozession der neu getauften Christen in ihren weißen Gewändern bis zur öffentlichen Abschwörung an den Teufel und all seine Werke und Wege. Man sollte nur wagen, meine Kirche herauszufordern!, dachte ich selbstzufrieden. Wer wollte behaupten, es sei nicht alles intakt geblieben?
    Jetzt begann der feierliche Teil, die geheiligten Mysterien des Kanons: die Opferung, die Wandlung und die Kommunion, gefolgt von Gedenken an die Lebenden … »dass es Dir gefallen möge, zu bewahren und zu stärken Deine Dienerin Anne, unsere allergnädigste Königin; dass es Dir gefallen möge, sie zu beschützen und zu bewahren und sie siegreich bleiben zu lassen über all ihre Feinde, darum bitten wir Dich …«
    Ein Scharren und Rumoren erhob sich hinten; es schwoll an und ließ Cranmer in seinem Bittgesang schließlich innehalten.
    Die Leute gingen.
    Ich drehte mich um und starrte sie an. Es konnte nicht sein. Aber es war so. Und nicht nur ein paar Aufsässige, nein, Reihe um Reihe erhob sich. Sie wandten sich um, schauten betrübt zum Hochaltar hinauf, wo Cranmer stand, und gingen zum großen Portal der Abteikirche hinaus.
    Sie weigerten sich, für Anne als Königin zu beten.
    Wie gelähmt stand ich da; ich konnte nicht glauben, was ich sah – Anne wurde spontan und öffentlich abgelehnt. Dass dies möglich sein könnte, hatte ich nicht einmal in Erwägung gezogen. Den Papst und den Kaiser und ein paar konservative Lords aus dem Norden – den Grafen von Derby, Lord Darcy, Lord Hussey, die

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