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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Erste und Zweite schuf ich, und das Dritte unterlag zweifellos der königlichen Interpretation.
    Der Übergang hatte begonnen.

XLVIII
    D ie Karwoche war angebrochen, und der neue Erzbischof bereitete sich darauf vor, sie meiner Anweisung gemäß auf großartige Weise zu feiern.
    »Muss denn alles sein, Euer Gnaden?« Cranmer sah mich so verzweifelt an, wie er es nur wagte. In der Tat, er neigte doch der Reformation zu und wagte bloß nicht, es offen zu zeigen.
    »Aye.«
    »Sogar …?«
    »Sogar zu Kreuze kriechen werden wir am Karfreitag. Ich selbst werde die Bußprozession führen.«
    Cranmer versuchte zu lächeln.
    »›Zu Kreuze kriechen‹?« Anne lachte. »Ein so verstaubter Brauch! Geliebter, Ihr werdet Euch die Knie aufschürfen.«
    »Das ist meine Absicht. Es ist notwendig, dass ich die alten Formen und sogar die ›verstaubten Bräuche‹ bewahre, um das Volk zu beruhigen und ihm zu zeigen, dass der Bruch mit Rom nicht bedeutet, dass wir uns vom Wahren Glauben abgewendet haben. Und nach dem Karfreitag ist Ostern.«
    »Und Eure neue Königin wird in öffentlicher Parade vorgestellt.«
    Wir standen an einem großen Fenster im Königsgemach zu Westminster; wir waren hergekommen, um hier die Karwoche zu verbringen. Unten beim Portal der Abteikirche gingen junge Priester wie Ameisen ein und aus; sie schleppten Bündel von Weidenzweigen für den bevorstehenden Palmsonntag.
    »Ja. Es ist eine Zeit der Freude für uns; auf diesen Tag haben wir uns gewiss mehr als vierzig Tage lang vorbereitet.«
    Sie lachte, und die junge Aprilsonne schien ihr ins Gesicht. Sie war voller Jugend und Hoffnung, und ich fühlte, wie mein Herz zu singen begann. »Wir werden nicht warten, bis Ostern die Sonne aufgeht. Nein, du wirst mit mir in die erste Ostermesse gehen – um Mitternacht in der Oster-nacht.«
    Ihre Augen tanzten. »Mein neues Kleid ist von Silberbrokat. Bei Fackelschein wird es am schönsten aussehen!«
    »Du wirst aussehen wie eine Feenkönigin«, sagte ich.
    Den Palmsonntag sollte der ganze Hof zusammen begehen. Ich hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass dies mein Wunsch sei, und wenngleich niemand wissen konnte, weshalb es mir wichtig war, verstand es sich doch, dass alle sich fügten. Ein paar hundert Höflinge versammelten sich kurz vor dem Hochamt, das in der benachbarten Abteikirche gefeiert werden sollte, in der Großen Halle von Westminster Palace. Triste Farben herrschten vor; ihre besten und neuesten Gewänder hoben sich alle für die Osternacht auf. Oh, wie die Farben lodern würden in dieser Nacht!
    Anne war in Gesellschaft der Damen; offiziell war sie noch immer nur eine Hofdame im Dienste einer Königin, die nicht mehr Königin, sondern nur noch Prinzess-Witwe von Wales war und auch nicht mehr am Hofe lebte. So wahren wir den Schein, auch wenn er absurd ist und niemanden mehr zu täuschen vermag, denn uns ist er gleichwohl lieb geworden.
    So stand sie da, Anne, die heimliche Königin, umgeben von ihren eigenen Zofen, die meinen Kammerherren kokette Blicke zuwarfen. Diese waren im Allgemeinen junge, bevorzugte Männer aus führenden Familien. Norris, der mich persönlich bediente, war der älteste unter ihnen; er war fast so alt wie ich. Die anderen waren jung – Francis Weston zum Beispiel, der gerade zweiundzwanzig Jahre alt war.
    Ich dachte zurück an all die prächtigen jungen Männer, die sich in meinen Gemächern gedrängt hatten, als ich König geworden war. Wo waren sie heute? William Compton, Edward Guildford, Edward Poyntz – alle tot. Diejenigen, die noch da waren, wie Carew und Neville, waren alternde Knaben, stämmig und mit Doppelkinnen, die trotzdem immer noch nicht mehr im Kopf hatten als zwanzig Jahre zuvor.
    Flüchtig fragte ich mich, wie Weston wohl in zwanzig Jahren aussehen würde. Er war so hübsch, dass er beinahe weibisch aussah, und solche Männer alterten nicht gut; mit vierzig sahen sie aus wie allzu erfahrene Kurtisanen, deren beste Erfahrungen hinter ihnen lagen. Er wäre gut beraten, rasch – und vorteilhaft – zu heiraten. Und schon in diesem Augenblick bemerkte ich, wie fürsorglich Anne ihn behandelte. Es war eines jener Dinge, die man wahrnimmt, ohne dass sie einem bewusst werden – wie etwa den Umstand, dass ein bestimmter Baum seine Blätter verloren hat.
    Jetzt erschien Cranmer vor uns, majestätisch in seinen glitzernden neuen Gewändern zum Ausweis des episkopalen Standes. Er hob die Hände und erteilte uns allen seinen Segen.
    Ein Priester wandelte auf und ab

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