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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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werden.
    Jesus war nicht so alt geworden wie ich. Er hatte nie mit dem Altwerden und mit der natürlichen Sterblichkeit ringen müssen. Wie also konnte Er wirklich alle menschlichen Erfahrungen geteilt haben?
    Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht; es war mir wohl bewusst, dass meine Gedanken an Blasphemie grenzten.
    Der höhnische Tag ging schließlich zur Neige, und ich konnte in die Gegenwart zurückkehren und die Zukunft mit Tod und Verwesung sich selbst überlassen. Am Hofe erwachte beträchtliche Unruhe, als die öde Fastenzeit und die Entsagungen der letzten zwei Tage in großes Frohlocken übergingen. Kein Jude hatte je so ungeduldig auf den Sonnenuntergang gewartet, um den Sabbath zu beginnen, wie Anne und ich es an diesem Tag taten. Zusammen jubelten wir wie Kinder, als die Abendsterne am Osthimmel aufleuchteten.
    »Es hat begonnen! Ostern hat begonnen! Und alle haben ihre Befehle!«, krähte sie.
    »Ja, meine Liebe.« Ich lächelte. »Jeder Priester im ganzen Land wird in der Ostermesse für dich als Königin beten. Auf diese Weise wird es verkündet werden, und das Volk wird deinen Namen laut wiederholen. Drei Millionen Engländer, und alle werden murmeln: ›Und herrsche im Herzen Deiner auserwählten Dienerin Anne, unserer Königin.‹ Was glaubst du, wirst du jeden von ihnen hören? Wird dich das endlich zufrieden stellen?«
    Sie lachte leise. »Nur, wenn ich so etwas wie ein Summen vernehme, denn dann weiß ich, dass sie alle wie aus einem Munde diese kostbaren Worte sprechen!«
    Ich sah sie an. Ich hatte mein Versprechen, das ich ihr vor so langer Zeit gegeben hatte, erfüllt. Heute Nacht würde ganz England sie Königin nennen, und ich hatte es zu Stande gebracht. Sie, um deretwillen ich meine Gemahlin verbannt, den Heiligen Stuhl beleidigt und mein Königreich aufs Spiel gesetzt hatte, stand in der herabsinkenden Dunkelheit und streckte die Arme nach mir aus. Ich nahm ihre Hand; sie war klein und warm. Ich hob sie an die Lippen und spürte die glatte Haut. Keine Echsenhautfacetten – nicht einmal ihre Vorläufer.
    »Ich muss mich ankleiden!« Sie riss ihre Hand weg wie ein Kind. »Ah! So lange habe ich auf diese Nacht gewartet!«
    »Die Messe beginnt um zehn«, erinnerte ich sie. »Der Hof versammelt sich in der Großen Halle und geht gemeinsam in die Kirche.«
    Ich erwartete sie im Kreise aller Männer und Frauen des Hofes. Alle waren wir nach der neuesten Mode angetan, und unsere Gewänder und Juwelen schillerten im Fackelschein wie die irisierenden Schmetterlinge des Sommers. Welch prachtvolle Nacht nach so langer Finsternis! Jetzt würde ich die Worte sprechen, von denen ich schon so lange träumte – vor dieser Gesellschaft.
    »Meine lieben Freunde«, begann ich und hob die Hand, um Schweigen zu gebieten; es wurde still, noch ehe ich den Arm wieder sinken ließ. »Meine Freude ist groß, ja, größer, als ich es Euch sagen kann, wenn ich Euch bekannt gebe, dass ihr endlich eine Königin habt – meine geliebte Anne. Wir haben uns vermählt.«
    Sie standen da und starrten mich an. Hatten sie nicht gehört?
    »Jawohl!«, wiederholte ich. »Wohl bin ich euer König, euer auserwählter und gesalbter König seit vierundzwanzig Jahren, doch ich habe euch nicht gegeben, worauf ihr ein gottgegebenes Anrecht habt: eine liebevolle, wahre Königin. Durch die Gnade des Herrn aber ist sie nun hier …«
    Anne erschien in der gegenüberliegenden Tür der Großen Halle in loderndem Silber. Wahrlich, so blendend und außerordentlich sah sie aus, dass sie nichts Menschliches mehr hatte. Ich verstummte auf meiner Estrade, als sie mir entgegenkam. Die Männer und Frauen des Hofes beobachteten sie; ihre Gesichter waren noch immer ausdruckslos.
    »Königin Anne.« Ich streckte die Hand aus, und sie ergriff sie und kam leichtfüßig zu mir auf die Estrade.
    »Königin Anne!«, rief ich voller Freude.
    »Königin Anne!«, wiederholten die Leute. Aber es war keine Freude dabei. Sie verbeugten sich und knicksten nur, wie der Brauch es erforderte.
    »Dank euch, ihr lieben Untertanen!«, rief Anne schrill. »Wir danken euch.«
    Nein, nein, wollte ich ihr sagen. Nicht so. Nicht in diesem Tonfall. Nun, ich würde es ihr später erklären.
    »Mögt ihr alle die Freude finden, die Gott mir mit einer so demütigen und tugendsamen Königin und einer so treuen Gemahlin geschenkt hat«, sagte ich. Die Leute versuchten zu lächeln.
    »Nun sollt ihr die traditionellen Krampfringe empfangen«, verkündete Anne in dem

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