Ich, Heinrich VIII.
berichten sollte, und er versprach, mir binnen Jahresfrist eine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse vorzulegen. »Dann mögt Ihr selbst urteilen«, sagte er, »ob man ihnen erlauben soll, weiterhin zu bestehen.«
Freilich – ihre Schließung würde bedeuten, dass ihr Vermögen der Krone zufiele, da ein vom Parlament erlassenes Gesetz inzwischen verbot, kirchliche Einkünfte nach Rom fließen zu lassen.
Was Cranmer angeht, so säumte er nicht, seine Pflicht zu erfüllen. Mitte Mai hatte er bereits ein kleines Kirchengericht einberufen, das unter seinem Vorsitz in Dunstable tagte, eine Strecke weit von London entfernt, aber für Katharina nah genug, dass sie hätte erscheinen können, wie es verlangt wurde. Natürlich erkannte sie Cranmers Autorität nicht an, und so ignorierte sie die kleine Verhandlung, in der schließlich festgestellt wurde, dass unsere frühere Ehe keine Ehe gewesen sei, und die (praktischerweise) gleichzeitig meine gegenwärtige Ehe mit Anne für gültig erklärte.
Jetzt konnten wir die Krönung in Angriff nehmen. Sie sollte am Pfingstsonntag stattfinden, einem heiligen Feiertag ohnedies; ich betete darum, dass dieser Umstand dazu beitragen möge, den Akt vor den Augen des Volkes zu heiligen. Anne gegenüber ließ ich mir meine Bangigkeit nicht anmerken; sie erwartete an diesem Tag die Erfüllung all ihrer Träume.
Der Tag sollte Anne gehören, hatte ich entschieden. Ich hatte meine Krönung vor vierundzwanzig Jahren gehabt, und es war nicht nötig, sie zu wiederholen. Ich zog es vor, meine Erinnerungen unverändert zu bewahren und Anne ihre eigenen zu gewähren, die sie mit niemandem würde teilen müssen. Deshalb würde ich sie bei den Zeremonien gar nicht begleiten, sondern im Hintergrund stehen bleiben wie ein unbeteiligter Zuschauer. Ich wollte ihre Krönung genießen, wollte in dem Wissen schwelgen, dass ich es war, der sie herbeigeführt hatte. Es war mein Wille und nichts als mein Wille gewesen, was diesen Erfolg bewerkstelligt hatte. Ohne meinen Willen wäre nichts von all dem geschehen. Man würde keine Gerüste errichten; die Näherinnen hätten keine wunden Finger; in der Milk Lane würde niemand Wetten darüber abschließen, ob es am Krönungstage regnen werde oder nicht. Ich hatte diesen Augenblick, dieses Ereignis geschaffen, wie ich meine eigene Krönung niemals geschaffen hatte. Mein Wille war der Wille Gottes; Annes Wille war der Wille Heinrichs viii.
Jeden Abend, wenn ich in Annes Privatgemach kam, musste ich mich anmelden lassen. Ich wartete dann ungeduldig im Vorzimmer, während ihre Ehrenjungfer mich zu unterhalten suchte und Anne hastig ihren Krönungsflitter wegräumte, auf dass ich ihn nicht vor der Zeit zu sehen bekäme.
Am Mittwoch vor dem großen Tag brannte ich besonders darauf, sie zu sehen, und so schritt ich in dem kleinen Raum auf und ab. Alle Fenster standen offen, und der Lärm, der London in einer Maiennacht erfüllte, drang mir in die Ohren.
Es war beinahe Vollmond. Die Hammerschläge (Zimmerleute waren dabei, die Schaugerüste in den Straßen zu errichten, und sie waren dankbar dafür, dass der volle Mond ihnen für zusätzliche Stunden bei der Arbeit leuchtete), das Geschrei der jungen Leute vor den Schänken, die den abendlichen Müßiggang genossen – das alles klang, als liege das wirkliche Leben irgendwo jenseits des Schlosses, als könne man es dort tatsächlich greifen. Gleichwohl wusste ich, dass jeder Trunkenbold, der dort an der Fachwerkwand seiner Taverne lehnte, in dem Glauben war, das wirkliche Leben wohne hier bei uns, und hier bei uns finde alles seine Erhöhung – und so war es auch, so war es auch. Niemand war so lebendig wie ich.
»Wünscht Ihr etwas Wein, Euer Gnaden?«, fragte Annes reizendes Kammerfräulein.
Wein? Wer brauchte Wein an einem solchen Abend? »Nein, nein …« Ich winkte ab. Wie grob von mir. Ich hielt inne und sah sie an, denn ich wollte mich allezeit an diesen Abend erinnern, und sie war ein Teil davon.
Sie war klein und hatte honigblondes Haar. Aber das war nicht das Wichtigste, das mir auffiel, als ich sie ansah. Ihre beherrschende Eigenschaft war die Blässe. Ein Spinnweb. Ein schwindender Mond. Das Spiegelbild eines alten Linnenhemdes in einem tiefen, verhüllten Brunnen.
»Ach, vielleicht doch.« Ich bemühte mich, liebenswürdig zu sein. Sie kam herbei und goss mir ein wenig Rheinwein in einen Becher aus getriebenem Silber.
»Und Ihr?« Ich hob den Trank.
Sie zierte sich. Ich blieb
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